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Autor Thema: Siebzehnhundertvier  (Gelesen 6998 mal)
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Holub
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« am: Januar 29, 2012, 09:40:37 am »

Mein Blick glitt über den Horizont. Den endlosen, weiten Horizont, den ich nie erreichen wollte. Oder konnte. Ein wenig von beidem, denke ich. Die Häuser vor und unter mir wirkten unwirklich, beinahe gemalt im rot-goldenen Licht der untergehenden Sonne. Zum Licht hin schimmerten die Dächer in einem warmen Ton, der an glühendes Kupfer erinnert, zu mir hin Schatten, Dunkelheit, die kalte Seite. Zum Horizont hin wurden sie kleiner und kleiner, gingen in Wohnhäuser über, um dann dem Wald Platz zu machen, der sich in immerwährendem Grün bis dorthin zog, wo er durch die stahlblaue Linie des Firmaments abgetrennt wurde, und dem Himmel erlaubte, seine unendlichen Grenzen darzubieten, nur unterbrochen von dem feurigen Ball der Sonne. Ich sah hinein in den tosenden Schlund atomarer Gewalten. Wie friedvoll sie aussah auf die Distanz, wie harmlos und rein. Und doch tobte dort eine Kettenreaktion nuklearer Gewalten, die uns hier auf der Erde das Leben erst ermöglichte. Ich schloss die Augen und streckte der Sonne mein Gesicht entgegen. Die wärmenden Strahlen streichelten meine Haut. Unendlich viele zarte, wärmende Berührungen einer fernen Geliebten, die ich nie erreichen würde.

Fast jeden Abend stand ich hier oben auf dem höchsten Haus der Stadt und sah der untergehenden Sonne zu. Beneidete die Menschen, die normal geblieben waren, ihre Unbekümmertheit, ihre Unwissenheit und ihre grenzenlose Naivität. Und ich bewunderte sie auch. Wegen ihren Mutes. Den Mut, jeden Morgen zu erwachen, sich den Problemen, und seien sie noch so klein, zu stellen. Wieder und wieder. Wie sorglos und unwissend sie waren. Ich dachte oft über die Menschen nach, besonders hier oben. Wie viele hatte ich im Laufe der Jahre kommen und gehen sehen, wie viele Idioten, wie viele wertvolle Menschen, die so viel zu geben hatten, so viel Wissen angehäuft hatten und so unglaublich klug waren. Doch dann mussten sie sich doch der Natur beugen und sterben. Alles, was sie je waren und alles, was sie noch hätten sein können, wurde ausgelöscht. Weggewischt wie ein Fettfleck, bedeutungslos für das Universum. Und doch blieben sie denen, denen sie fehlten, im Herzen erhalten bis sie selbst starben.

Ein feines Zirpen ertönte, und ich wusste, dass es nun an der Zeit war, diesen Ort des Friedens und der Besinnung zu verlassen, um mich in mein Tiefschlaf-Futteral zu begeben. Meine bionischen Implantate würden nur funktionsfähig bleiben, wenn eine Lichtquelle dafür sorgte, dass sie mit Energie versorgt würden. Auch ein Fluch, der mich bis ans Ende meiner Tage verfolgen würde. Doch ich wollte damit leben, nein, ich musste damit leben, ob ich wollte oder nicht.

Ich riss mich gewaltsam vom erhabenen Anblick der Sonne los und ging in den Fahrstuhlschacht. Die Tür verschloss ich sorgfältig hinter mir und das Zirpen meines Impulsgebers erinnerte mich daran, dass meine Kraftzellen sich der Kapazitätsgrenze näherten. Ich musste mich beeilen, denn wenn die letzten Reserven verbraucht waren, hätte der Rest meines menschlichen Körpers eine sehr schwere Last zu schleppen. Und es war nicht das erste Mal, dass ich mich wie ein Zombie durch die Hallen und Gänge der Hochhäuser schleppen musste.

Ich hangelte mich an den Stahlseilen bis ins Erdgeschoss. Stieg aus, ging durch den Niedergang ins Kellergeschoss und sah mich um. Hierher kam fast nie jemand, und doch war ich wachsam. Menschen waren keine Gefahr, sehen konnten sie mich nicht. Denn seit dem Unfall in Ingolstadt vor (waren es 200 oder 300 Jahre? Ich erinnerte mich nicht mehr), war ich unsichtbar für die Menschen. Ein gewisser Doktor hatte meinen Körper aus - wie nannte er es? - aus der Phase geschoben. Lachhaft! Er starb bei dem Unfall, das verdammte Genie und hinterließ nicht nur ein brennendes Schloss, sondern auch einen verzweifelten Menschen, der den Rest seines verfluchten Lebens allein bleiben sollte.

Seine letzten Worte hallten noch in meinen Ohren nach: »Sohn, du lebst zwei Sekunden in der Phase verschoben. In einer PLUS-Phase, verstehst du?«

Kein verdammtes Wort hatte ich verstanden! Nun, wenigstens die Aufzeichnungen hatte ich retten können, als das Gewölbe in sich zusammensackte und das wohl größte Genie aller Zeiten unter sich begrub für immer und ewig.

Nun, wie gesagt, Menschen bildeten keine Gefahr, aber Tiere. Tiere waren eine Gefahr. Mäuse, Ratten, Hunde und vor allen Dingen Katzen. Diese verdammten Biester witterten mich nicht nur, nein, die Katzen sahen mich sogar an! Hunde jaulten, bellten, winselten, duckten sich oder knurrten, wenn ich in ihre Nähe kam, aber die Katzenviecher mochten Sinne haben, von denen die Menschen noch nichts wussten. Nur ich und Gott selbst wusste, was in ihnen steckte.

Ich trat an die fugenlos im Stein verborgene Tür, holte meinen Codeschüssel heraus und öffnete den Eingang in mein kleines Reich. Nachdem ich die Tür wieder verschlossen hatte und die Gravolampe über mir schwebte, konnte ich mich entspannen. Die erste Zeit war es sehr störend gewesen, einen schwebenden Körper zu haben, der einem auf Schritt und Tritt folgte, aber man gewöhnt sich an alles. Schließlich bedeutete Licht Energie, und Energie bedeutete für mich die Funktionsfähigkeit meines nicht mehr menschlichen Körpers.

Ich betrat die Ultraschalldusche, entkleidete mich und sah mich im Spiegel an. Dann sah ich mein Spiegelbild lächeln, denn ich hatte eine Falte an meinem Auge entdeckt. Das freute mich ungemein, denn es bedeutete, dass ich nicht unsterblich war, wie ich zunächst angenommen hatte.

Ich freute mich auf den Tag meines Todes, ja das tat ich. Und jede Falte brachte mich diesem Tage näher. Eigentlich war ich deswegen ständig im Zwiespalt, denn ich hing am Leben. Doch in Zeiten der Einsamkeit verfluchte ich das verdammte Experiment.

Ich riss mich aus meinen Grübeleien und trat aus der Dusche. Nackt, so wie ich es mochte, setzte ich mich in den Sessel, den Adenauer mir seinerzeit geschenkt hatte. Ich atmete tief durch und sah mein kleines Reich, eigentlich eine Fluchtburg, an. Antiquitäten aus den letzten Jahrhunderten. Schwerter, Duellpistolen, das Artefakt aus den Staaten, eine Reitgerte von King George V, Bücher und Dokumente, den Sessel, ein Spiegel aus dem Nachlass Pompidous, eine Rüstung vom Großherzog von Canterbury, Zaumzeug vom letzten Zaren, all diese Dinge hatte ich aufbewahrt. Sie erinnerten mich an die Menschen, die ich gemocht oder geliebt hatte. Dann fiel mein Blick auf die zerfetzten ledernen Gurte, mit denen ich auf dem kalten Holztisch angebunden war, als mein 'lieber' Doktor mit seinem Experiment begann. Meine Gedanken schweiften ab. Ingolstadt. 1704. Damals war ich 26 Jahre alt, mittellos und willig, mich der Wissenschaft zur Verfügung zu stellen. Wie dumm und einfältig ich war...

»Nun Sohn, leg dich hin. Und keine Angst, nespa?«

Wie ich es hasste, wenn er »nespa« sagte. Denn er sprach gar kein französisch, nur dieses eine Wort. Ich entkleidete mich bis auf meine Unterwäsche, legte die Sachen sauber gefaltet auf einen Schemel und trat an den Tisch. Ich konnte am leisen Knarren seines Wamses hören, dass sich der kleine, dickliche Mann näherte.

»Alles ausziehen, mein Sohn. Wir wollen doch nicht, dass deine kostbare Wäsche Schaden nimmt, nespa?«

Am liebsten würde ich ihm dieses Wort in den Hals schieben, aber ich ertrug es mit dem Gleichmut eines alten Esels. Dann fühlte ich seine Hände auf meinem Rücken. Das kalte Metall des Horchgerätes ließ mich bei der ersten Berührung leicht zusammenzucken und der Doktor lachte leise auf.

»Tief atmen, Sohn.« grummelte er leise.

Natürlich, ich hatte diese Untersuchung unzählige Male mitmachen müssen. Und ich hätte die Prozedur kennen müssen, aber heute war DER Tag und ich war aufgeregt.

»Sehr gut.« murmelte er und zog mich an der Schulter herum, um meinen haarlosen Brustkorb zu untersuchen. »Mein Sohn, die Sterne stehen gut, die Vorhersagen sind perfekt und wir werden Erfolg haben, dessen bin ich mir sicher. Also«, sagte er lächelnd und selbstsicher, »leg dich auf den Tisch.«

Ich hatte so sehr mit dem verkrampften Gefühl in meiner Brust zu tun, dass ich widerspruchslos seiner Aufforderung nachkam. Der Doktor holte ein paar breite Ledergurte aus einem Schrank und legte sie mir um die Handgelenke, die Fesseln und um die Hüfte.

Auf meinen fragenden Blick entgegnete er: »Sohn, das Mittel kann... sagen wir einmal, gewisse Spasmen auslösen. Die Gurte verhindern lediglich, dass du dir selbst schadest, nespa?«

Ich nickte ihm zu, sprachlos und doch beruhigt. Der Doktor mochte viele Macken haben, aber er war ein Genie und tat niemals etwas, ohne alle Konsequenzen gründlich bedacht zu haben.

Ebenfalls beruhigt trat er an den langen Tisch an der Frontseite des Gewölbes. Seine Schritte hallten in der Stille des Raumes heute besonders schicksalsschwer nach, wie es mir im nachhinein vorkam.

Als er zurückkam, hielt er ein zylindrisches Glas in der Hand. Die Flüssigkeit darin sah aus, wie Wasser, klar und transparent. Die krakelige Schrift auf dem Glas, mit Fettkohle geschrieben, sehe ich noch heute klar und deutlich vor mir: LOT 1704/322

»Es wird nicht besonders schmecken, Sohn, aber du wirst es schon schaffen, oder?«

Wieder nickte ich, ergriffen von der Spannung, die sich nicht nur in mir aufgebaut hatte.

Er hielt meinen Kopf beim Trinken, und die Hitzestrahlung seiner Hand beruhigte mich weiter.

Die Flüssigkeit schmeckte wider Erwarten nicht so schlecht, wie ich befürchtet hatte. Fast wie Fencheltee mit ein paar Gewürzen, die mir unbekannt waren. Kein Wunder, denn ich stammte ja nicht aus edlem Hause, und Gewürze, die von weit her gebracht werden mussten, waren kostspielige Dinge, die sich nur Menschen edlen Geblütes leisten konnten.

Und doch war es eine eigenartige Substanz, denn in meinem Hals konnte ich verfolgen, wie jeder Schluck in meinen Magen gelangte, wo es dann schnell warm wurde. Als ich das erste Mal vom Wein meines Vaters trank, hatte ich ein ähnliches Gefühl, aber damals verwirrten sich meine Sinne zusätzlich.

»Ich werde dir nun sagen, was passieren wird, Sohn. Du wirst im Magen spüren, dass es warm wird. Die Wärme wird sich auf alle deine Glieder übertragen, du wirst beginnen zu schwitzen. Danach wirst du in eine Art Hochstimmung kommen. Das Ziel dieses Experimentes ist klar. Erinnerst du dich an die Ratte, die wir letztes Jahr damit gefüttert haben?«

Ich nickte nur, denn Wärme, wie der Doktor sagte, war untertrieben. Im meinem Magen tobte flüssige Lava, Hitze war eine nur ungenügende Umschreibung für das, was sich in meinen Eingeweiden abspielte.

»Die Ratte lebt immer noch, obwohl sie schon alt war, als wir sie fingen. Wenn das Experiment also erfolgreich sein wird, hast du eine Lebensspanne vor dir, die um den Faktor 4 verlängert sein wird.«

Ich konnte nicht glauben, was der Doktor mir gerade eröffnet hatte. Das hieße ja, dass ich 100 Jahre oder älter werden würde! Meine Gedanken schweiften wieder ab, denn der Schmerz in meinem Magen breitete sich aus. Ich spannte meine Bauchmuskeln an, die Muskeln meiner Oberschenkel zogen sich schmerzhaft zusammen und mein Rücken bog sich durch. Meine Haut brannte wie Feuer, ich konnte meine Knochen überdeutlich spüren und mein Blickfeld engte sich ein. Die Haut auf meinem Hinterkopf schien Falten zu werfen und sich gleichzeitig zu spannen, ich bekam tatsächlich Spasmen in den Muskeln. Meine Oberschenkel und Rückenmuskeln zogen sich schmerzhaft zusammen und brannten wie Feuer. Der Schmerz trübte meine Sinne, die Welt um mich herum versank in einem Meer aus roter Glut. Durch die Qualen meines geschundenes Körpers spürte ich, wie der erste Gurt an meinem rechten Bein riss, dann der andere. Mein Körper bäumte sich auf und ich zerriss die Fesseln als ob sie nicht vorhanden wären. Von irgendwoher drang die hektische, warnende Stimme des Doktors in mein gemartertes Gehirn, doch der Sinn seiner Worte blieb mir verschlossen. Die Qual, der Schmerz wurde dann übermächtig und mein Verstand setzte aus. Ich versank in einem dunklen Loch, und ich nahm diese Erlösung dankbar an.

Als ich wieder bei Verstand war, spürte ich wieder Hitze, allerdings nicht aus mir heraus, sondern meine Haut brannte und ich hatte einen pelzigen, metallenen Geschmack im Mund. Ängstlich öffnete ich die Augen und fand mich in einem Flammenmeer wieder. Jemand, wahrscheinlich ich, musste die vielen Chemikalien auf seinen Tischen in einem Tobsuchtsanfall zerstört haben und sie mochten den Brand ausgelöst haben. Es konnte nur ich gewesen sein, denn der Doktor lag mit eingeschlagenem Schädel neben dem Tisch. Der Gestank im Gewölbe war ekelerregend. Beißend, stechend und betäubend. Die Qualmwolken nahmen mir nicht nur die Sicht, sondern raubten mir gleichsam den Atem.

Ich sprang auf und rannte, den gierig nach mir leckenden Flammen ausweichend, auf den Doktor zu. Ich legte seinen blutenden Kopf auf meinen Schoß und er öffnete die Augen. Der nahe Tod stand in ihnen, das konnte ich deutlich sehen.

»Sohn, du lebst zwei Sekunden in der Phase verschoben. In einer PLUS-Phase, verstehst du?« Seine einst so sichere und herrische Stimme war nurmehr ein Flüstern, gezeichnet vom Herannahen des Gevatters.

»Nein Doktor, was heißt das? Plusphase? Ich verstehe nicht!«

Doch er rührte sich nicht mehr, sein Kopf, zertrümmert von meinen wild um sich tretenden Beinen, sackte leblos in meinen Schoß. Ich schüttelte ihn, schrie ihn angsterfüllt an, versuchte ihn auf die Beine zu stellen, aber es war nutzlos. In seinem Körper wohnte kein Leben mehr. Und sein Blut klebte an meinen Händen, an meinen Fingern, Armen und in meinem Schoß.

Der hinterste Balken des Gewölbes brach mit einem entsetzlich anzuhörenden Knirschen zusammen und krachte brennend herunter. Wenn ich leben wollte, gab es nur eine einzige Möglichkeit. Flucht, jetzt und sofort. Ich bettete den Kopf des Doktors auf den heißen Stein, drehte mich um und verließ in wilder Panik, nackt wie ich diese Welt betreten hatte. Meine Sachen, die ich nutzloserweise so ordentlich gefaltet hatte, brannten, der Verschlag, wo der Doktor einige wenige Kleidungsstücke aufzubewahren pflegte, brannte ebenso. Nutzlos, ich wandte mich endgültig zur Flucht, doch mein Blick fiel auf die Kladden des Doktors. Seine Aufzeichnungen über seine Forschungen! Eilig, mit den heißer werdenden Flammen in meinem Rücken, raffte ich sie zusammen, so schnell ich konnte und verließ das in sich zusammen stürzende Gewölbe um in die nahegelegene Stadt zu fliehen. Später sollte ich erfahren, dass das Schloss des Doktors bis auf die Grundmauern niedergebrannt war.

Ich schrak aus meinen Erinnerungen als die Servopumpe des Lifts hämmernd ansprang. Nächtliche Besucher, die heimkamen. Ich schüttelte den Kopf über meine Panik. Was sollte mir passieren? Als ich Jahre später lesen gelernt hatte und die Aufzeichnungen des Doktors durchging, hatte ich meine schmerzhaften Erfahrungen bereits hinter mir. Für Menschen war ich nicht zu sehen, mein Körper hatte mit der Flüssigkeit des Doktors eine Substanz aufgenommen, das mich in eine Plusphase verschoben hatte. Für Menschen war ich unsichtbar. Nicht unfühlbar, aber unsichtbar. Ich wandelte wie ein Geist unter ihnen, ungesehen, unberührt und einsam. Mit der Veränderung meiner Zellstruktur ging ein erhöhter Stoffwechsel einher, wie auch eine erhöhte Reproduktionsrate der veralteten Zellen. Ich lächelte. Einer der Wissenschaftler sagte: »Interaktive, infinite Frischzellenkur.«

Ich wurde ruhiger, denn das Geräusch der Pumpe erstarb ebenso plötzlich, wie es eingesetzt hatte. Wieder fiel mein Blick auf den zerrissenen Gurt. Ich erinnerte mich an meine erste Heimkehr, nackt dreckig und an verschiedenen Stellen meines Körpers vom Feuer gezeichnet, verängstigt, orientierungslos und mit dem Blut des Doktors besudelt. Ich schlug den Türöffner heftig an die hölzerne Tür meinen Hauses. Schlurfende Schritte näherten sich. Vater hatte wieder zu tief ins Glas geschaut. Er öffnete mit müden Augen die knarrende Tür, murmelte etwas, das wie »Verdammte Gören« klang und schlug sie vor meiner Nase wieder zu. Ich stutzte, war verwirrt, dann erbost. Denn er hatte direkt durch mich hindurchgesehen. Oder wollte er mich nicht sehen? Hatte er diesmal zu viel getrunken? Wieder klopfte ich, wieder wurde die Tür geöffnet, doch diesmal hatte Vater seine Armbrust in der Hand. Und mit der konnte er hervorragend umgehen, egal wie viel er getrunken hatte.

»Lasst nach, ihr verdammten Rangen, sonst bekommt ihr einen Gruß in den Allerwertesten.« schrie er erbost und sah mich wieder nicht.

»Vater?« fragte ich zaghaft, beschämt ob meiner Blöße, die ich mit meinen Händen zu bedecken suchte.

Doch er schien mich weder zu sehen, noch zu hören, denn er schritt auf mich zu... und stieß mich zur Seite, so dass ich in den Holunderbusch flog, der neben dem Eingang wuchs. Schmerzhaft bohrten sich die Zweige in meine geschundene Haut. Der Schmerz ließ mich aufheulen, doch Vater bemerkte mich weder, noch dass er von meinem Gewimmer Kenntnis nahm. Und dennoch blieb er wie vom Donner gerührt stehen, war er doch gegen ein Hindernis geprallt, dass er mit seinem umnebelten Verstand nicht einzuordnen wusste.

»Schockschwere Not.« murmelte er und rieb sich die Schulter.

Seine Augenbrauen zogen sich zusammen, sein unsteter Blick suchte die Ursache. Aber er sah mich nicht. Ich schrie ihn aus Leibeskräften an, mich aus dem Busch zu holen, doch er hörte mich nicht. Er sah mich nicht, starrte nur entsetzt und ungläubig auf den Abdruck, den ich im Busch hinterließ. Ich hatte in diesem Moment die Erkenntnis gewonnen, dass das Experiment erheblich mehr Folgen zu haben schien, als ich anfangs dachte. Hier begann mein Leidensweg. Ich schlich mich mit Tricks in mein Haus, versuchte am normalen Leben meiner Familie teilzunehmen, doch die Folge war, dass mein Vater immer mehr dem Alkohol verfiel und meine Mutter wahnsinnig wurde.

Meine Eltern erfuhren vom Feuer im Schloss des Doktors, die Gendarmen taten kund, dass es insgesamt fünf Tote zu beklagen gab, von denen ich als einer der Vermissten angeschlagen war. Und doch fand meine Mutter Spuren von mir, die ich für sie legte. Aus Verzweiflung. Meine Schuhe vor ihrem Bett, mein noch warmes Bett und meine Schritte, die sie hören konnten. Ungezählte Priester und sogar ein Exorzist waren in unserem Hause. Als ich sah, dass ich meiner Familie mehr schadete, als ich ihnen nützen konnte, verließ ich mein Haus. Dem Unglück meines Lebens wollte ich ein Ende bereiten.

Wie oft hatte ich versucht, mein Leben zu beenden. Wie oft hatte mein verpfuschter Körper sich von selbst regeneriert. Ich hatte mich von einer Brücke gestürzt. Drei Tage später erwachte ich ohne die geringste Blessur. Ich hatte mich verbrannt, eine sehr schmerzvolle Erfahrung. Doch auch diese Verbrennungen schwerster Art war mein Metabolismus imstande, zu heilen. Gift, auch das stärkste, verursachte mir nur Magenschmerzen. Pfeile aus Armbrüsten, Lanzen, in die ich mich warf, nichts war imstande mich endgültig vom Angesicht der Erde zu tilgen. Und ich wurde müde. Sehr müde. Ein paar Jahre lang taumelte ich durch die Welt, orientierungslos, ziellos und beinahe von Sinnen. Dann raffte ich mich auf. Ich wurde stiller Gast in Schulen, Hochschulen, zu Hause bei Professoren. Ich lernte alles, was mich interessierte, denn wenn ich eines hatte, dann Zeit.

Und so durchlebte ich die Jahrhunderte. Sehend, wissend und einsam. 1704 war ein schlechtes Jahr, nicht nur für mich. John Locke starb in England. Ich fand seine Theorien der Bewusstseinsinhalte, die sich auf Erfahrung gründeten, in den Aufzeichnungen des Doktors. Kluger Mann und einer der letzten Philosophen, denen ein einfacher Geist folgen konnte. Doch viel schlimmer war die Tatsache, dass 1704 ein Jahr der Wende war. Wendepunkt der Geschichte, nicht nur meiner. Im Nachhinein wunderte ich mich nicht, dass fest dogmatisierte Ideologien innerhalb kürzester Zeit ihren Inhalt verloren. Ein solcher Punkt, den ich unmittelbar erleben durfte, war der 13. August 1704, sieben Monate nach dem Unfall. Dort begann die lange Zeit der Weltkriege. War der Dreißigjährige Krieg noch die letzte große Auseinandersetzung um Religion und Glaubensfragen, so begann mit dem Spanischen Erbfolgekrieg die erste Phase der globalen Machtkämpfe, die sich nun in der Folgezeit bis zum zweiten Weltkrieg fortsetzen. Und bei all dem war ich Zeitzeuge.

Im Nachhinein betrachtet, war der eigentliche Auslöser Karl V. der sagte: »In meinem Reich geht die Sonne nicht unter.«, denn er besaß gewaltige Ländereien, von den Niederlanden bis Feuerland, von Kalifornien bis Neapel.

Ein wahrhaft königliches Erbe. In der Folge war es nicht weiter verwunderlich, dass alle europäischen Königshäuser sich mit dem Erbfall beschäftigten, allen voran die Habsburger, allen voran Kaiser Leopold I. und der französische König Ludwig XIV. Derweil die Habsburger und Bourbonen sich zunächst auf juristischem Wege ihre Erbansprüche durchsetzen wollten, fiel das Erbe schlussendlich einem 6jährigen zu. Josef Ferdinand, Sohn des bayerischen Kurfürsten Max Emanuel. In ihm sahen die spanischen Granden den Garanten dafür, dass das Imperium ungeteilt erhalten blieb. Außerdem blieb das europäische Gleichgewicht erhalten.

Nach Ferdinands plötzlichem Tod begann alles wieder von vorne. Niemand ahnte das Ausmaß des Krieges, der nun folgen würde. Nicht einmal, dass er kontinentübergreifend werden würde, noch dass er in den Schrecken einer Revolution enden würde. Die Kriegshandlungen begannen mit einem Paukenschlag. Mitten im Frieden überfielen die Soldaten des Kurfürsten Max Emanuel als Bauern verkleidet die strategisch wichtige Festung Ulm. Es folgen Memmingen, Lauingen, Dillingen, Neuburg und Regensburg. Das Jahr 1704 brachte nun die große Wende. Franzosen und Bayern schickten sich an, den Kaiser in Wien selbst anzugreifen. Max Emanuel musste schlussendlich ohnmächtig zusehen, wie Dorf um Dorf in Flammen aufging, wie sein Land systematisch verwüstet wurde. Zweck des ganzen grausamen Unternehmens war, den Kurfürsten dazu zu bringen, dass er die Fronten wechsle.

So nahte der schicksalsschwere 13. August. Den Allierten war durchaus klar, dass sie mit einem Angriff ein schweres Wagnis eingingen, stand ihnen doch mit 56000 Mann nicht nur eine zahlenmäßig überlegene Armee gegenüber, sondern es war auch eine gut ausgebildete geschlossene Truppe, während sich ihr eigenes, mit 52000 Mann zahlenmäßig unterlegenes Heer, auch noch aus Soldaten vieler Nationen zusammensetzte. Sie wussten, dass im Falle einer Niederlage alles verloren war und Europa unter das Ich eines Ludwig des XIV. geraten würde. Hauptleidtragende aber waren die Bewohner der umliegenden Dörfer. Lutzingen, Oberglauheim, Unterglauheim, Schwennenbach, Weilheim, Berghausen, Wolpertstetten und Blindheim lagen in Schutt und Asche, die Ernte war vernichtet, das Vieh getötet. Den Menschen war jegliche Lebensgrundlage entzogen und nur die Solidarität der Nachbarn half beim Überleben. Der Kurfürst hatte in dieser europäischen Erbauseinandersetzung alles gewagt und alles verloren. Leopold verhängte über ihn die Reichsacht und fristete als unbeachteter Kostgänger am franz. Hof sein Leben. Erst 1714 durfte er wieder zurück in seine Stammlande.

Ich selbst hielt mich aus all diesem Wirrwarr, von dem ich nichts verstand, heraus, hatte ich doch meine eigenen Probleme. Und doch kam ich nicht umhin, den Boten und den Soldaten zuzuhören, oder den Gesprächen in den Wirtschaften. 1713 war dann der Spuk vorüber und es endete doch mit der Teilung der Ländereien.

Die folgenden Jahre hörte ich immer wieder von Kriegen, Scharmützeln und Übergriffen, doch die waren weit entfernt. 1799 kam dann eine erschreckende Nachricht aus, wieder einmal, Frankreich. Napoleon Bonaparte stürzt das Direktorium, löst den Rat der Abgeordneten auf und setzt sich an die Spitze der Konsularregierung. 1800 wurde die erste Batterie erfunden und in den USA begann die Serienproduktion von Feuerwaffen. Schillers Lied von der Glocke entstand, in Berlin wurde die erste Dampfmaschine aufgestellt und die Briefpost wurde eingeführt. 1801 wird Schillers Maria Stuart in Weimar uraufgeführt und Beethoven wurde endgültig taub. 1802 wurde nach einer Volksabstimmung Bonaparte lebenslanger Konsul, in Russland gründete Zar Alexander I. die ersten Ministerien, Grotefend entziffert die Keilschrift der Ägypter, Schiller wurde in Weimar Goethes Nachbar und Hölderlin geisteskrank. 1812 zog Napoleon gegen Russland zu Felde und kehrte im November vernichtend geschlagen nach Paris zurück.

Damals musste ich breit grinsen, denn ich hatte mir, entgegen den vorherrschenden Meinungen der Wirtshauspolitiker, eine eigene Meinung gebildet. Und ebenso ahnte ich gegen Weihnachten, dass dieser kleine Mann unmittelbar wieder aufrüsten würde.

Und so kam es dann auch. Die Folge waren die Befreiungskriege und der kleine Mann wurde im April 1814 nach Elba verbannt. Knapp ein Jahr später kehrte er zu unser aller Überraschung jedoch zurück und begann seine Herrschaft der Hundert Tage. 1820, ich war des Lesens bereits mächtig, wurde Sir Walter Scotts Ivanhoe veröffentlicht. Es war das erste Schriftstück, das ich nicht aus der Hand legte, bevor ich es nicht gänzlich gelesen hatte. 1824 starb Lord Byron und Beethovens 9. Symphonie wurde in Wien uraufgeführt.

All diese Dinge zogen an mir vorbei, während ich in Adenauers altem Sessel saß. All die Jahre der Einsamkeit, der Isolation und der Verhärtung meiner gepeinigten Seele. Ich war bitter geworden. Und das erschreckte mich. Die Gleichmut, mit der ich die Schicksale um mich herum zur Kenntnis nahm, ängstigte mich.

Vor Jahren war ich Zeuge (das Gebäude war just entstanden), wie eine unglaublich schöne Frau in das Penthouse zog. Ich stand damals in der Eingangshalle und hörte zwei Männern zu, die gerade den Lift reparierten. Sie diskutierten, ob man die Überlastsicherung der Aufzugtüren für einige Stunden außer Kraft setzen konnten, da sie zu Tisch wollten. Sie klebten einen Zettel an die Lifttüren und gingen, doch die Warnung fiel mitten in den Türspalt des Liftes und ich stand daneben und sah die dunkelhaarige Schönheit in den Lift gehen. Sie drückte den Knopf für die oberste Etage, sah aber im gleichen Augenblick ihre Haarspange, die vor den Lifttüren lag. Sie bückte sich danach, und im gleichen Moment schlossen sich die Türen, die nun ohne Sicherung waren, zu. Mit einem Sprung war ich da, schob den rechten Arm zwischen die Türen. Dank der bionischen Implantate konnte ich der elektrischen Kraft der Liftmotoren mühelos standhalten und die Frau bemerkte es nicht einmal. Ich drückte die Türen noch ein Stück auf, und obschon ich mir des Risikos völlig bewusst war, stieg ich mit ihr in den Lift. Ich stellte mich hinter sie und tauchte meine Nase in ihre Lockenpracht, die verführerisch vor mir schimmerte. Ich sog ihren Duft in meine Nase und nie gekannte Gefühle stiegen in mir hoch. Die Frau tippelte unruhig von einem Bein aufs andere, als ob sie den Lift bewegen könnte, schneller zu fahren. Wer weiß? Erwartete sie gar einen Liebhaber? Oder hatte sie, wie man es in dieser Zeit nannte, ein Date?

Der Lift hielt und sie ging zielstrebig auf die Wohnungstür zu. Ich folgte ihr und wischte gerade eben noch durch die Tür, bevor sie sie schließen konnte. Neugierig sah ich mich um. Kein Vergleich zu meiner Fluchtburg, schoss es mir durch den Kopf. Alles hier war stilvoll eingerichtet, farblich sorgsam aufeinander abgestimmt und ergab das in sich stimmige Bild einer Frau mit edlem Geschmack. Es war überaus sauber hier, hell und schön. Ich fühlte mich sofort wohl in der Wohnung der Frau.

Leise folgte ich ihr ins Schlafzimmer. Sie warf ihren Mantel achtlos auf das breite Bett und kickte die Schuhe von den Füßen. Ich musste lächeln, denn diese Bewegung kannte ich noch von Marie Bernadette um die letzte Jahrhundertwende. Sie hatte unglaubliche Beine, wie ich bemerkte, als sie ihre Hose zu Boden gleiten ließ. Lächelnd sah ich zu, wie sie die Bluse aufs Bett warf, den schwarzen BH folgen ließ, um sich dann dem ebenfalls schwarzen Slip zu entledigen. Welch perfekter Körper.

Ich sah fasziniert zu, wie sie die Dusche anstellte, einen Moment wartete, bis das Wasser heiß genug war, und dann die Duschkabine öffnete. Mit einem Bein stand sie bereits in der Dusche, als sie sich noch einmal umdrehte und direkt in meine Richtung sah. Ihre Augenbrauen zogen sich zusammen und mir fuhr ein eisiger Stich durch mein Herz. Konnte sie mich sehen? Doch dann schüttelte sie ihren Kopf und schloss die Kabine, um zu duschen.

Nun konnte ich mich aufatmend auf ihr Bett setzen. Wow, was für ein Schreck. So lange ich schon lebte, diesen Impuls würde ich wohl niemals loswerden. Und doch hatte ich erkannt, dass die Sinne der Frauen feiner und sensitiver waren, als die der Männer. Katzengleich beinahe. Und wieder musste ich lächeln, denn die Frau, deren Namen ich nicht einmal kannte, hatte Katzenaugen, umrahmt von einem zwar herben, aber überaus schönen Gesicht. Frech griff ich in ihre Manteltasche und sah mir ihr Portemonnaie an. Der Führerschein fiel mir als erstes in die Hände. Désiree von Friedensheim. Wieder lächelte ich, ahnte ich doch das edle Blut in diesem Traumkörper. Ansonsten Kreditkarten in Mengen, eine erhebliche Summe an Bargeld und diverse Kassenbelege. Désiree… ein schöner Name, er passte zu ihr. Ich nahm den BH von ihr in beide Hände und fühlte den knisternden Stoff, als die Dusche abgestellt wurde. Eilig legte ich alles so zurück, wie ich es vorgefunden hatte und stellte mich an die Tür ins Bad, um noch einmal einen langen Blick auf diese faszinierende Frau zu werfen.

Sie kam, ein großes Handtuch um ihren Lieb geschlungen, aus der Dusche und reinigte die Dusche gründlich, bevor sie sich der Körperpflege hingab. Sie cremte ihren Körper mit einer duftenden Lotion ein, deren angenehmer Geruch bis zu mir drang. Sie war gerade dabei, ihre Wimpern zu tuschen, als ihr Kopf sich langsam in meine Richtung drehte. Ich sah ihren zweifelnden, leicht ängstlichen Blick und mein Inneres erstarrte.

»Ist da jemand?« fragte sie zaghaft in die Stille der Wohnung und ich rührte mich nicht, ja, ich hielt sogar überflüssigerweise den Atem an.

Erschrecken wollte ich sie nun wirklich nicht. Und doch schien sie meine Präsenz zu spüren, denn sie kam auf mich zu. Ich wich lautlos aus, und als sie an mir vorbeiging, stockte ihr Schritt. Sie sah zum Bett. Ich Esel, ich hatte meine Sitzmulde nicht glatt gestrichen!

Désiree ging zögernd zum Bett, die Mulde ängstlich betrachtend und tastete mit der flachen Hand über den Abdruck, den ich Trottel vergessen hatte. Sie erfühlte meine Wärme, die ich hinterlassen hatte, und zog aus der Schublade des Nachtschrankes eine 38er. Verdammt, wenn die jetzt hier herumballern würde, gäbe es nur noch die Flucht. Doch sie suchte im Raum herum. In den Schränken, dann unter dem Bett, prüfte die Balkontüren, die Eingangstür und den Schrank im Korridor. Und natürlich wurde sie nicht fündig, denn wie beim Blinde-Kuh-Spiel wich ich ihr geschickt aus.

Aufseufzend legte sie den Revolver wieder an seinen Platz und setzte sich aufs Bett, neben die Mulde, die immer noch sichtbar war.

»Ich bin doch nicht bescheuert.« sprach sie sich selbst Mut zu und im gleichen Moment hatte ich ein sehr schlechtes Gewissen.

Es war Zeit, zu gehen. Doch wie? Notgedrungen musste ich abwarten, bis sie entweder schlief oder die Wohnung verließ.

Ich sah sie wieder an. Sie war wirklich eine sehr schöne Frau und wie gern wäre ich ihr unter normalen Umständen begegnet. Wie gern hätte ich sie in die Oper eingeladen oder zu Diner gebeten. Doch all diese Dinge blieben mir verwehrt, das hatte ich im Laufe der Jahre gelernt. All die Frauen, die sich auf mich eingelassen hatte, waren vor Kummer erkrankt und ich hatte sie verlassen oder sie waren mir unter den Händen gestorben. Niemals wieder hatte ich mir damals geschworen. Und doch. Wenn ich Désiree ansah, kam ich in Versuchung.

Sie stand entschlossen auf, ein wenig Trotz im Gesicht, und ich sah die perfekte Eleganz ihres schönen, beinahe makellosen Körpers. Beinahe, weil auf ihrem Bauch zahlreiche kleine und größere Leberflecken die helle Haut zierten.

Sie kleidete sich an. Der schwarze BH, ein neuer Slip, mit Spitzenbesatz, halterlose Strümpfe. Darüber zog sie ein blutrotes, eng anliegendes Kleid, das ihren Körper fabelhaft zur Geltung brachte. Dann eine schlichte Halskette und einen dezenten Armreif. Sie wechselte noch die Ohrringe, dann ging sie ins Bad, um ihre Frisur zu ordnen.

Das war meine Gelegenheit. Leise schlich ich zur Tür, nahm den griff in die Hand und wollte sie gerade aufdrücken, als ich sie hinter mir spürte. Mein Kopf ruckte herum, sie war nur wenige Zentimeter hinter mir. Erschreckt sprang ich zur Seite und strauchelte.

Als ich mich wieder in Balance befand war sie weg. Verdammt! Ich wartete einen Moment, bis ich hörte, wie sich die Lifttüren schlossen, dann drückte ich die Klinke nieder. Doch sie hatte abgeschlossen. Verflixt noch eins, ich ritt mich immer wieder in Situationen, aus denen ich schwerlich wieder herauskam. Was nun? Tür aufbrechen? Über den Balkon verschwinden? Nein. Wenn sie zurückkam, musste sie, egal was ich nun anstellen würde, bemerken, dass jemand hier war.

Ich nahm mir vor, an der Tür auf ihre Rückkehr zu warten, um dann genauso durchzuschlüpfen, wie ich es getan hatte, als sie hereinkam. Doch in der Zeit hatte ich genügend zu untersuchen, denn wenn ich eins war, dann neugierig.

So behutsam wie möglich sah ich mich um. Eigentlich war nicht viel besonders erwähnenswertes hier, bis auf die vielen Briefe, die auf ihrem Schreibtisch lagen. Sie waren allesamt mit Tinte geschrieben, was ich sehr zu schätzen wusste. Ohne auf den Absender zu schauen, erkannte ich an der Handschrift einen Mann. Einen Mann, der wusste, was er wollte, der aber, wie ich an den linkischen Bögen, die er bei den Gs und Ls schlug, nicht immer die ganze Wahrheit schrieb oder sagte. Er war meisterlich darin, gewisse Dinge aus dem Zusammenhang zu reißen oder einfach wegzulassen. Oh, Désiree, worauf hast du dich nur eingelassen? Das ansonsten gestochene Schriftbild wies auf einen herrischen Charakter hin. All dies mochte sie wohl am Anfang beeindruckt haben, überdies schrieb er in sorgfältig formulierten, doch nichtssagenden Sätzen, in die eine verliebte Frau alles hineininterpretieren konnte. Schlüsselworte wie 'wir' oder 'du' oder 'Liebe' kamen nicht vor. Mein Fazit nach dem dritten Brief war: Weg mit dem Kerl.

Ich seufzte tief, atmete durch und hatte gar nicht bemerkt, wie spät es war. Ein wenig müde legte ich mich auf ihre Couch und starrte die Decke an. Wieder war das passiert, was ich immer zu vermeiden suchte. Ich nahm am Schicksal einer Person teil, die ich mit Sicherheit überleben würde. Sinnlos, nutzlos und Sorgen bringend. Immer wieder die gleiche Geschichte.

In meinen Grübeleien musste ich wohl eingenickt sein, denn ich erwachte schlagartig, als ich hörte, wie ein Schlüssel die Wohnungstür öffnete. Leicht taumelig sprang ich auf, hastete in den Korridor. Wieder zu spät, verdammt. Dann blieb ich still stehen. Désiree kam an mir vorbei und hatte Tränen in den Augen! Ihre hängenden Schultern und ihr schleppender Gang waren beredtes Zeugnis ihres Kummers, und hier in ihren eigenen Wänden brachen sich ihre Tränen ungehemmt Bahn. Schluchzend sank sie aufs Bett und weinte ungehemmt. Sie tat mir so leid, als ich sie daliegen sah, mit zuckenden Schultern und bebendem Körper. Doch ich durfte und wollte nicht eingreifen.

Nach einer langen Zeit des Weinens, ich schätzte eine knappe Stunde, wurde sie stiller. Sie schniefte noch ein paar Mal und schlief dann ein. Ich trat leise neben ihr Bett, betrachtete sie und nahm dann sehr vorsichtig die Decke von der anderen Seite, um sie zuzudecken.

»Danke.« hauchte sie verschlafen.

»Gern geschehen.« sagte ich liebevoll und verfluchte mich im gleichen Moment.

Doch dann entspannte ich mich wieder, sie konnte mich ja nicht hören. Puhhhh. Ich umrundete das Bett, setzte mich wider besseren Wissens auf die Bettkante und betrachtete ihr schlafendes Gesicht. Ihre Mundwinkel wirkten wie die eines trotzigen Kindes, sie war nicht völlig entspannt. Die leichten Zuckungen, die sachte ihren Körper schüttelten, bestätigten dies. Ihr Haar war ihr in die Stirn gefallen, ihre Haut wirkte blass, beinahe transparent schimmerte sie im künstlichen Licht des Schlafzimmers.

»Was hat er dir angetan, Désiree?« fragte ich eigentlich mich selbst und beugte mich zu ihrem Gesicht, um die schöne Frau aus kurzer Distanz betrachten zu können.

»Er ist ein Arschloch.« antwortete sie flüsternd und ich war erstarrt vor Schreck.

Meine Eingeweide zogen sich schmerzhaft zusammen, meine Gedanken rasten, meine Haut wurde kalt und ich begann unvermittelt zu schwitzen. Ein Chaos an Gefühlen tobte in mir. Sie konnte mich hören! Oder war es nur ein Zufall? Ich war glücklich wie nie und doch betrübt wie nie. Eine Frage, eine Frage musste her. Dringend, aber welche? Etwas sinnvolles, doch unverfängliches. Denk schneller sagte ich zu mir, doch das tosende Rauschen in meinem Kopf ließ einfach nicht nach. Wie hieß der Kerl noch? In den Briefen... dann wusste ich es wieder.

»Was ist mit Alberto?« fragte ich sanft, aber bestimmt, meine Stimme mühsam kontrollierend, damit sie nicht vor lauter Empfindungen zu kippen drohte.

»Er ist verheiratet.« murmelte sie und ich war sprachlos.

Zu keinem Wort fähig und maßlos erfreut, überrascht und glücklich zugleich. Seit beinahe 300 Jahren die erste Frau, die meine Stimme hörte! Und mir antwortete!

Désiree lag, das Gesicht mir zugewandt, mit angezogenen Knien vor mir. Ich strich ihr zärtlich die Strähne aus dem Gesicht, und sie lächelte im Schlaf. Und ich konnte es nicht sein lassen, ihr mit meinen Fingerspitzen über die Wangen zu fahren, sie zu streicheln. Doch auch wenn sie schlief, irgendwo spürte sie, dass jemand anwesend war. Jemand, der ihr Trost spendete und für sie da war. Und dann legte sie sich auf den Rücken und öffnete unvermittelt die Augen. Erschreckt und entgeistert fuhren ihre Augen suchend umher und entdeckten natürlich die Mulde, die ich auf ihrem Bett hinterließ, sowie den tiefen Abdruck dort, wo mein rechter Ellbogen war.

Eine kleine Ewigkeit starrte sie fassungslos auf den Abdruck. Ängstlich, verwundert und auch neugierig. Und ich dämlicher Trottel wartete nur darauf, dass sie ihren Blick in eine andere Richtung lenken würde, damit ich aufstehen konnte. Mein Atem ging schwer, mein Körper, meine Muskeln und Sehnen waren sprungbereit wie nie zuvor. Los, gib mir nur eine Chance, dachte ich. Aber die Chance kam nicht, im Gegenteil es wurde noch schlimmer.

Ansatzlos zuckte ihre rechte Hand unter der Bettdecke hervor und klammerte sich um meinen Unterarm. Glasklar hatte Désiree die Lage analysiert und wusste, wo sie mich packen konnte. Und doch zuckte sie aufschreiend zurück, fiel aus dem Bett, rappelte sich wieder hoch und drückte sich mit vor Angst geweiteten Augen mit dem Rücken gegen den Schrank.

»Wer bist du? Was bist du? Und was willst du hier?« fragte sie in die unheimlich anmutende Stille.

Verdammter Mist, sie hatte mich entdeckt. Und ich Idiot war darauf hereingefallen.

»Mein Name ist nicht wichtig. Verstehst du mich überhaupt? Désiree?«

Aber es schien, als höre sie mich nicht. Was war zu tun? Ich konnte nur mit ihr reden, wenn sie schlief, wie es schien.

Ich stützte meine Linke auf dem schneeweißen Laken ab, und Désiree musste nun einen kompletten Handabdruck sehen, der sich in ihr Bett drückte. Hoffentlich konnte sie damit umgehen… doch an ihren geweiteten Augen und an ihrem sich hektisch hebenden Brustkorb sah ich, dass sie kurz davor war, in Panik zu geraten. Verdammt, war ich dumm!

Doch nun war es zu spät, ich hatte meine Hosen heruntergelassen und musste sehen, dass ich Schadensbegrenzung trieb. Mein schwerer bionischer Körper ließ das Bett knarren, als ich aufstand. Nun brauchte ich ja keine Rücksicht mehr nehmen. Und doch zuckte sie wiederum zusammen. Drückte sich haltsuchend an den Schrank, den schönen Körper angespannt bis zum Zerreißen. Mir blieb nur eine einzige Chance. Und die wollte ich nutzen.

Also ging ich auf sie zu und nahm, so vorsichtig ich irgend konnte, ihre abwehrend ausgestreckte Hand. Sie versuchte in einem panischen Reflex, sich mir zu entziehen, doch ich hielt sie fest. Legte ihre Hand auf ihren Brustkorb, dort wo das Herz schlägt, und drückte meine Hand fest und hoffentlich beruhigend für sie auf ihre. Dann ergriff ich ebenso vorsichtig ihre andere, zitternde Hand und führte sie zu meinen Lippen. Wieder der Impuls, sich mir zu entziehen, doch sie hatte offensichtlich bemerkt, dass ich ihr kein Arg wollte und sie ließ zu, dass ihre Fingerspitzen meine Lippen berührten.

»Désiree, ich will dir nichts Böses, glaub mir. Und verzeih mir, ich wollte das nicht!« sagte ich, wohl wissend, dass sie mich nicht verstehen konnte.

Doch sie spürte die Bewegungen meiner Lippen und zog die richtigen Schlüsse. Angst hatte sie deswegen immer noch, wie ich an ihrem bebenden Körper erkannte.

Willenlos ließ sie sich von mir zu ihrem Bett führen und zudecken. Wieder strich ich ihr liebevoll eine verschwitzte Strähne aus dem Gesicht und sie zuckte zusammen, ließ es dann aber geschehen. Ich nahm ihre rechte Hand in meine Hände, versuchte, Vertrauen zu erwecken durch die Intimität dieser Geste. Und tatsächlich, sie schien sich ein wenig zu entspannen. Dennoch blieb sie stumm unter der Last der Eindrücke. Verständlich, aus ihrer Sicht, hatte ich sie doch zu Tode geängstigt.

Dann ließ ich sie los, und ging schweren Schrittes zu ihrem Schreibtisch. Ich trat extra laut auf, damit sie sah, was ich tat und sich nicht mehr fürchtete.

Ich nahm ein Blatt Papier aus einem Fach, einen Bleistift und schrieb.
 

Désiree…. Verzeiht mir, holde Schöne, was ich tat ist unverzeihlich. Ich drang in Eure Gemächer und lud eine nicht wieder gut zu machende Schuld auf mich. Was mir nurmehr bleibt, ist zu hoffen, dass Ihr meine Bitte um Verzeihung annehmt und mich gehen lasst. Ihr könnt mich nicht hören und nicht sehen, diese Tatsache ist unumstößlich. Ich jedoch höre und sehe Euch sehr wohl, Madame. Und seid gewiss, dass meine Augen mit Wohlgefallen auf Euch ruhen werden, wo immer Ihr auch hingehen mögt. Seid versichert, dass ich niemals wieder hier eindringen werde, wenn Ihr es nicht wünscht. Lebt wohl, schöne Désiree. Und vergesst alsbald diesen fürchterlichen Alberto, er wird Euch nichts als Kummer bescheren.
Dann musste ich unwillkürlich lächeln, denn es mochte seltsam aussehen, wie der Bleistift für sie frei schwebend ein Blatt Papier voll schrieb. Und ich überlegte, ob ich mit meinem Namen unterschreiben sollte, oder nicht. Immerhin gab es diese unglückselige Erfindung namens Internet, wo jedwede Person alles Mögliche über Jedermann herausfinden konnte. Dann unterzeichnete ich mit 'Der Tor', das mochte genug sein. Ich wollte gerade aufstehen, als mir einfiel, noch eine Warnung anzufügen, was ich eigentlich nicht gern tat, aber im Anbetracht der Lage als sinnvoll erschien.
 

P.S.: Liebste Désiree, ich bitte Euch, ob meiner ruchlosen Taten dennoch, um einen Gefallen, der lebenswichtig für mich scheint. Schweigt bitte stille über unser Zusammentreffen heute, denn die Konsequenzen sowohl für Euch als auch für mich, wären von einschneidender Härte.
Dann stand ich auf und überreichte Désiree, die mittlerweile nicht mehr ganz so furchtsam schaute, den Brief. Ihre zitternden Finger nahmen das Papier entgegen und sie las meine Zeilen, während ich vor ihrem Bett stehen blieb und wartete.

Ich sah, wie ihre Augen wieder und wieder über meine Zeilen flogen und sowohl ihr Zittern als auch ihre Angst ließen nach. Dann sah sie in die Richtung, in der sie mich vermutete und wo ich tatsächlich noch stand.

»Sie sind unsichtbar? Für Ja klopfen Sie einmal auf mein Bett oder mit dem Fuß auf den Boden, für Nein zweimal, bitte.«

Lächelnd setzte ich mich auf ihre Bettkante und schlug mit der Hand auf ihre Decke. Doch ihre Reaktion überraschte mich.

»Das kann doch nur ein Alptraum sein.« sagte sie mehr zu sich und mit einem Unterton der Verzweiflung.

Ich schlug einmal auf ihre Decke.

»Wie bitte? Sie meinen tatsächlich, das hier ist ein Alptraum?«

Wieder klopfte ich einmal auf ihre Decke. Und Désirees Augen zogen sich unwillig zusammen.

»Es ist ein Alptraum für Sie?«

Und ich klopfte besonders hart auf die Decke. Sie dachte nach, hatte unzählige Fragen, die sie aber so formulieren musste, dass ich mit Ja oder Nein antworten musste.

»Sind Sie schon seit Ihrer Geburt unsichtbar?«

Zwei Klopfer.

»A ha. Seit... wie alt sind sie eigentlich? 30?«

Zwei Klopfer. Das ging mir allmählich auf die Nerven, aber ich schuldete es ihr wohl, zu erfahren, wer und was ich war.

»Über 50?«

Wieder zwei Klopfer.

»Oh, so alt schon.« sinnierte sie und wieder schlug ich zweimal auf die Bettdecke.

»Nein? NEIN? Heißt das sie sind älter als sagen wir einmal 80?«

Ein Klopfer.

Nun war sie verwirrt und ich amüsiert. Ich stand auf und holte den Bleistift, setzte mich wieder zu ihr und nahm ihr kurzerhand den Zettel aus der Hand.

Als ich ihr das Schriftstück zurückgab, sah ich, wie sie beim lesen die Stirn runzelte.
 

Verehrte Désiree, ich bin im Dezember 1678 geboren, das heißt ich bin heute 323 Jahre alt. Sie mögen es glauben oder nicht. Seit 1704 bin ich durch einen Laborunfall unsichtbar und lebe seither wie ein Geist unter den Menschen.
Sie ließ erstaunt und voller Unglauben den Zettel sinken, nicht wissend, ob sie mir glauben sollte, oder nicht. Immerhin war die Tatsache, dass jemand, den sie nicht sehen konnte, in ihrer Wohnung umhergeisterte, unumstößlich.

Nun, es war an der Zeit, den Spuk zu beenden und ich nahm ihre Hand. Ohne Furcht ließ sie es geschehen, selbst als ich ihr, entgegen meiner Erziehung, einen Handkuss mit den Lippen auf den Rücken ihrer kleinen Hand hauchte. Sie verstand diese Geste dennoch, sagte aber nichts. Zielstrebig ging ich durch den Korridor, öffnete die Tür und verließ ihr Penthouse.
 
 
 

Teil 2:

Im Laufe der folgenden Monate liefen wir uns immer wieder über den Weg. Sicher, ich hatte Zeit genug und suchte sie. Begleitete sie aber auf Distanz. Aber doch sah ich, dass sie die ersten Tage leicht neben sich stand, denn ein solches Erlebnis hat man sicher nicht alle Tage. Ich haderte mit mir. Sollte ich oder sollte ich nicht, mich ihn wieder nähern? Ich entschied mich dagegen. Es war sinnlos, denn sie würde nicht so lange leben wie ich. Sie konnte mich weder sehen noch hören. Eine Beziehung unter diesen Umständen war von vorn herein zum Scheitern verurteilt. Und doch sehnte ich mich nach den liebenden Berührungen einer Frau. Nein, dieser Frau.

Einmal, vor ein paar Wochen, ging ich hinter ihr über den Markt. Sie blieb an einem Fruchtstand stehen und betrachtete sinnierend die ausgelegte Ware. Ich stellte mich hinter den Stand, um nicht mit den vielen Passanten zusammen zu stoßen. Und sah sie an, ihre schönen Augen, wie sie mit weit entferntem Blick die Früchte ansah, und dennoch nichts sahen.

»Wo bist du nur?« fragte ich mich, denn sie war in Gedanken weit weg.

Dann schien sie schlagartig in die Realität zurückzufinden. Ihr Blick klärte sich und sie sah sich um. Ihre Lippen bebten und ich hatte den Eindruck, sie würde Worte formulieren. Suchend sah sie sich um. Suchte sie mich? Versuchte sie, die Spuren eines Menschen zu erkennen, der nicht sichtbar war? Wie gern würde ich es annehmen.

Sie wandte sich suchend um, schlenderte über den mit Menschen gefüllten Markt. Ziellos, wie es schien, doch suchend. Ihr Blick wanderte umher. Doch sehen konnte sie nichts, denn ich hatte gelernt, mich so zu bewegen, dass ich niemanden anstieß oder berührte. Abseits der Holzhütten, auf Wegen, die außer mir niemand ging. Doch dann blieb ich stehen. Es tat plötzlich weh und ich trug, wenn ich ehrlich zu mir selbst war, den Beginn des zarten Pflänzchens, das man Liebe nannte in mir. Und das wollte ich nicht. Nicht mehr und nie wieder.

Und doch.... sie faszinierte mich. Und ob ich wollte oder nicht, ich dachte öfter an sie, als mit lieb war. Doch damit war jetzt Schluss. Nein, ich konnte ihr das nicht antun. Und mir ebenso nicht. Nie wieder wollte ich mit ansehen müssen, wie eine schöne Frau neben mir älter und älter wurde, neidisch und bitter wurde, weil ihr Partner nicht alterte. Einen Partner hatte, dem sie niemals ins Gesicht sehen konnte, deren Glanz in den Augen sie niemals sehen durfte und dessen geflüsterte Worte sie nie hören würde. Nein, das konnte ich ihr nicht zumuten.

Also drehte ich mich um und ging heim in mein Reich. Ich stieg auf das Dach des Hauses, um die Sonne zu sehen. Heute war ich besonders traurig und verfluchte den Doktor und das Leben überhaupt. Nicht einmal die Sonne zeigte mir ihr Gesicht, sie wurde verborgen durch den Glast der Stadt, der neblig drohend wie ein Schleier vor ihr lag. Tief aufseufzend verließ ich den heute wenig heimeligen Ort und stieg nachdenklich die Treppe hinab. Und selbstverständlich musste ich an ihrem Penthouse vorbei, so wie jeden Tag.

Beinahe wäre mir der Brief, der an ihrer Tür klebte, entgangen. Doch Veränderungen fielen mir sofort auf, auch wenn es nur aus den Augenwinkeln war. Zögernd näherte ich mich ihrer Tür. Lauschend, witternd, denn der Brief musste nicht zwangsläufig für mich sein. Ich blieb dann aber erstaunt stehen, denn auf dem Brief stand: An den Tor.

Also doch für mich. Ich lauschte mit all meinen Sinnen, doch ich spürte niemandes Anwesenheit. Als ich den Brief, der mit einem Klebestreifen an der Tür befestigt war, abriss, öffnete sich plötzlich die Tür und ich erstarrte vor Schreck.

Da stand sie, lehnte lächelnd an der Wand des Korridors, ein Bein vor das andere geschlagen und sah aus wie ein zufriedener Großwildjäger, der ein scheues Stück erlegt hatte.

»Ich wusste, du würdest nicht widerstehen können. Komm herein bitte, ich beiße nicht.« sagte sie, leidlich genau in meine Richtung starrend, ohne mich wirklich zu sehen.

Was nun? Fassungslos sah ich mir selbst zu, wie ich wie eine Marionette dieser Frau in ihre Wohnung folgte. Und sie hatte sich sehr genau überlegt, was sie tat, denn sie forderte mich auf, die Tür zu schließen. So konnte sie sicher sein, dass ich ihr auch folgte. Sie ging voran ins Wohnzimmer, entzündete ein paar Kerzen, die überall im Raum verteilt waren und setzte sich in den bequemen Sessel, der dicht am Fenster stand. Ihr suchender Blick flog durch den Raum und ich klopfte mit dem Finger auf die Schreibtischoberfläche, auf der ich halb saß. Sie richtete ihren Blick auf mich, so gut sie konnte.

Mein Herz schlug vor gespannter Erwartung bis zum Hals, als sie zu reden begann. Dass auf dem Schreibtisch Papier und Kugelschreiber lagen, hatte ich mit einem Seitenblick lächelnd zur Kenntnis genommen. Sie hatte sich auf diesen Moment gut vorbereitet, das bedeutete aber auch, dass sie viel nachgedacht hatte.

Désiree stand auf, ging zu einer Anrichte und füllte zwei Gläser mit dunklem, roten Wein. Dann kam sie zielstrebig näher und reichte mir ein Glas, das ich aus ihrer Hand nahm. Wie ein Blitz durchfuhr mich ihre Berührung, als unsere Finger sich einen Wimpernschlag lang berührten.

»Ich habe so viele Fragen.« sagte sie unsicher und versuchte, mich anzusehen.

»Frag nur.« schrieb ich auf den bereitgelegten Zettel.

»Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll.« sagte sie, fuhr dann aber fort »Darf ich dich anfassen?«

Anstatt etwas aufzuschreiben, führte ich ihre Hand zu meiner Brust und legte sie darauf.

Désiree schloss die Augen.

»Du bist aufgeregt.« flüsterte sie.

Dann nahm sie ihre andere Hand dazu und legte sie auf meine Schultern. Ihre Hände tasteten über meinen Hals zu meinem Gesicht. Zart wie Taubenschwingen fuhr sie über meinen Bart, meine Nase, zeichnete meine Augen nach, tastete über meine Stirn, den Hinterkopf. Ihre Rechte landete unvermittelt auf meinem Bauch.

»MBB.« flüsterte sie. »Oh sorry, ich kann deine Antwort nicht hören. Mähne, Bart und Bauch heißt das.« Und sie lächelte dabei.

»Problem?« schrieb ich fahrig auf den Zettel, denn ich war mehr als nur aufgeregt.

Ihre Berührungen machen mich schier wahnsinnig. Eigentlich hätte sie mein Herz auch schlagen hören müssen, anstatt es zu ertasten. Jedenfalls kam es mir so vor. Sie warf einen kurzen Blick auf den Zettel.

»Nein. Nicht wirklich. Aber dein Bart ist lang, so wie dein Haar. Hast du nie versucht es zu kürzen?«

»Wer sollte mir die Haare schneiden?« schrieb ich auf den Zettel und meine Schrift wirkte schon recht krakelig.

Désiree öffnete die Augen, warf einen Blick auf den Zettel und misste glucksend lachen.

»Stimmt, ich Trottel.« lachte sie und ich nahm ihre Hand von meinem Bauch und hauchte ihr einen Kuss darauf.

Sie versuchte mich anzusehen mit großen Augen.

»Was hältst du davon, wenn ich dir die Haare schneide? Einverstanden?«

Ihre Hand, immer noch dicht an meinem Mund, spürte mein Nicken und sie löste sich von mir. Soll einer die Frauen verstehen. Wir kannten uns nicht, gar nicht, und das erste, was Désiree wollte, war mich stutzen. Von mir aus, was hatte ich zu verlieren? Insgeheim freute ich mich sogar darauf, ihre Finger auf mir zu spüren.

Désiree kam mit einem Handtuch und einer Schere zurück, rückte einen Stuhl in die Mitte des Raumes und bedeutete mir, Platz zu nehmen. Als ich saß, tastete sie nach meinem Hals und legte etwas unbeholfen das Handtuch um meinen Hals.

»Oh Gott.« entfuhr es ihr und meine Sinne waren schlagartig in Alarmstimmung, doch sie drückte mich zurück auf den Sitz.

»Keine Sorge, ich sehe nur mein Handtuch nicht mehr, es ist unsichtbar.«

Mist, kein Zettel hier, ich hätte ihr erklären können, dass das positive Phasenfeld sich auf alles ausdehnte, was ich am Körper trug, aber das schien ihr egal zu sein. Ich sah zu ihr auf. Sie hatte die Augen geschlossen und tastete zuerst nach meinem Bart. Nicht so einfach, wenn man nicht sah, was man im Begriff stand, abzuschneiden. Ihre Hände zitterten stark. Sie hatte Angst, mich zu verletzen.

»Warte.« sagte sie entschlossen, drehte sich um und verschwand im Bad.

Ich hörte sie eine ganze Zeit rumoren, dann kehrte sie mit einem elektrischen Scherer und einem Verlängerungskabel zurück. Wieder spürte ich ihre Finger, die hauchzart über mein Gesicht glitten. Surrend näherte sich der Scherapparat meinem Gesicht und diesmal begann sie tatsächlich. Als sie das erste Mal absetzen musste, entfuhr ihr ein Aufschrei des Erstaunens.

Sie bückte sich und hielt meine abgeschnittene Haarpracht fassungslos in Händen.

»Das gibt's ja nicht. Du bist mittelblond.«

Ich war mehr als nur erstaunt, dass Désiree meine abgeschnittenen Haare sehen konnte. Das war auch mir neu, und ich hatte einen Funken Hoffnung. Darauf hatten die Wissenschaftler mich nicht vorbereitet!

Désiree führte den Scherapparat nun mutiger über mein Gesicht. Als sie sicher war, das der Bart nun überall kurz war, spürte ich wieder ihre tastenden Finger auf meinem Gesicht. Diesmal lächelte sie warm.

»Ich habe ein Bild von deinem Gesicht vor Augen.« sagte sie leise, doch mir wurde diese Frau unheimlich.

Ich war hier eingedrungen, hatte sie bespitzelt und erschreckt. Warum tat sie das? War es Neugier, Interesse oder gar mehr? Ich war verwirrt und konnte keinen klaren Gedanken fassen. Nachdenklich und in Gedanken versunken bemerkte ich gar nicht, dass Désiree sich mittlerweile meinem Haupthaar gewidmet hatte. Sie war sehr geschickt, wie ich bemerkte. Zuerst schnitt sie mir der Schere die langen Haare ab. Dann nahm sie einzelne Büschel und führte sie durch ihre Finger, um sie über den Fingern abzuscheiden. Nach kurzer Zeit lag meine komplette Mähne auf ihrem Wohnzimmerboden, was sie nicht weiter zu stören schien. Wieder fühlte ich ihre tastenden Finger prüfend über meinen Kopf streichen. Dann kam die unausweichliche Frage.

»Wie heißt du eigentlich? Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand sein Kind 'Tor' nennt?«

Ich dachte nach. Sollte ich es ihr nun sagen oder nicht? Dann kritzelte ich 'Thorwald' auf den Zettel und Désiree brach in schallendes Gelächter aus.

Leicht indigniert fügte ich noch »Sehr witzig, was?« hinzu, doch sie war zu sehr damit beschäftigt, sich über meinen Namen zu amüsieren, als dass sie es gelesen hätte.

Prustend und glucksend, sich mühsam um Ernsthaftigkeit bemühend, versuchte sie, das Gespräch in harmlose Bahnen zu lenken, doch schon als sie den Mund aufmachte, prustete sie gleich wieder los. Wie witzig, dachte ich bei mir, und doch musste ich breit grinsen. Ich mochte es sehr, wenn sie lachte. Dass sie über mich lachte, konnte ich verschmerzen, schließlich konnte ich für meinen Namen nichts.

Endlich beruhigte sie sich, doch der Schalk blitzte immer noch in ihren Augen.

»Wie dein Spitzname als Kind war, will ich gar ni....«

Und wieder musste sie lachen. Diesmal war es so arg, dass sie sich zusammengekrümmt setzen musste. Als sie nach einer kleinen Ewigkeit fertig war, zeigten sich Tränen in ihren Augen und eine helle Röte hatte ihr Gesicht überzogen.

»Ich kann nicht mehr.« wollte sie sagen, aber es kam nur ein Krächzen aus ihrem Hals.

Désiree nahm einen tiefen Schluck aus ihrem Glas und hatte sich kurz darauf vollends abgeregt.

»Désiree, ich danke dir, aber nun muss ich gehen.« schrieb ich auf den Zettel, denn das Zirpen meines Impulsgebers sagte mir, dass es Zeit wurde.

»Bist du beleidigt oder sauer?« fragte sie entsetzt, doch ich nahm ihre Hand und führte sie an meine Lippen, die breit lächelten.

Dazu schüttelte ich den Kopf und sie war beruhigt, aber doch irritiert ob meines schnellen Aufbruchs. Ich raffte so schnell ich konnte, noch mein abgeschnittenes Haar zusammen, faltete das Handtuch und legte es auf einen Stuhl. Dann trat ich vor sie, nahm ihr Gesicht in beide Hände und küsste sie auf die Stirn.

Erstarrt und scheinbar ratlos blieb sie stehen, zu keiner Bewegung fähig, während ich das Penthouse verließ.

»Meine Tür ist immer offen.« sagte sie beim Herausgehen, und ich freute mich diebisch über diese Einladung.

Und doch war ich traurig, denn das verdammte Ende war vorprogrammiert. Als ich mit hängenden Schultern die Treppe hinabstieg, fühlte ich mich wie ein Schwein.

4:04 Uhr, ich fand einfach keinen Schlaf. Immer wieder musste ich an Désiree denken. An ihr Lachen, an ihren Mut und ihre Unvoreingenommenheit.

»Meine Tür ist immer offen.«

Das hatte sie gesagt und ich war in Versuchung, es auszuprobieren. Meine Kraftzellen hatten sich längst wieder regeneriert und hier unten hatte ich nichts weiter zu tun, als zu schlafen, doch das mochte mir einfach nicht gelingen. Ihr Gesicht schwebte vor mir, lächelnd, neugierig und irgendwie... anders. Anders als ich je eine Frau hatte schauen sehen, einordnen konnte ich das Gespinst meines Geistes nicht.

Ich stand auf. Unruhig schritt ich hadernd durch mein kleines Reich, wie ein Tiger im Käfig. Dann erinnerte ich mich an ihren Schreibtisch. Dort stand ein Computer. Primitiv vielleicht im Gegensatz zu dem, was mir die Wissenschaftler überlassen hatten, doch funktionsfähig.

»Monitor an.« sagte ich halblaut in den nur von ein paar Kerzen beleuchteten Raum.

»Bereit.« erwiderte die kalte Stimme des Programms, als die Frontwand des Raumes als holografische Projektionsfläche erschien.

»Scannen. Intern, Netzzugänge.« gab ich dem Programm Anweisungen, und »Sprachausgabe aus.«

»Verstanden.« bestätigte das Terminal und auf der Holomatrix konnte ich eine schematische Darstellung des Gebäudes sehen.

Sämtliche Netzzugänge waren rot markiert und tatsächlich, Désiree hatte einen.

»Letzter Zugriff, Penthouse.«

Und ich sah, dass der Account aktiv war. Ich nahm an, dass sie arbeitete. Das globale Netzwerk bot mannigfaltige Möglichkeiten.

»Darstellung aller aktiven Programme.« murmelte ich, und im gleichen Augenblick zoomte das Penthouse heran.

Eine Liste der laufenden Anwendungen wurde gezeigt.

Operating System: Windows XP (Systemstart: 02:03 Uhr ) Running: 3D Studio MAX IE 5.5 DFÜ (FREENET) WS FTP PRO 7.0 Corel 10 In der Tat, sie arbeitete. Ich dachte nach. Sollte ich sie stören?

»Darstellung aller Peer-to-Peer-Programme und aller Com-Klassen.«

Ich suchte einen Zugang, um ihr zu schreiben, denn die Geschichte mit den Zetteln war unbefriedigend auf Dauer.

»Kein Ergebnis.« zeigte mir das Terminal.

Sie hatte also weder Chat noch Binärverbindungen zur Verfügung.

»Generiere ein Programm zum direkten, nonverbalen Austausch.«

Diesmal brauchte das Terminal ein wenig. Vier Sekunden waren schon beträchtlich, wenn man die Leistungsfähigkeit der zentralen Recheneinheit betrachtete. Doch dann war da Ergebnis da.

»Einloggen und Start, manuelle Eingabe.« befahl ich und der Rechner schaltete sich auf ihre Leitung.

Dann griff ich nach der Folientastatur und rollte sie vor mir auf dem Tisch aus.

»Hallo Désiree.« gab ich ein.

Auf ihrem Monitor musste nun in roter Schrift, direkt über ihren Anwendungen mein Gruß erscheinen. Lange Minuten geschah nichts und ich konnte förmlich ihre Verwunderung sehen, ihren Unglauben, der in ihrem Gesicht stand.

»Erschrick nicht, ich bin's nur, Thorwald. Entschuldige, ich dringe schon wieder bei dir ein.«

»Hi du... wie kommst du in meinen Rechner?«

»Das war leicht, mein Terminal hat das gemacht. Das kann viel mehr als ich.«

»Ich bin... überrascht. Aber schön, dich zu... lesen.«

Seltsam, ich spürte ihre Freude und konnte das Lächeln auf ihrem Gesicht beinahe sehen.

»Ich kann nicht schlafen.« schrieb ich.

»Ich auch nicht, ich versuche, mich abzulenken.«

»Und? Gelingt es?«

»Nein. Nicht wirklich. Ich habe ein paar Probleme, zu verdauen, dass ich einem Unsichtbaren die Haare geschnitten habe.«

»Und ich habe ein Problem damit, dass du mich erkannt hast. Das war so nicht vorgesehen.«

»Tut es dir leid?«

»Nein!«

Meine Reaktion war ein wenig zu heftig, aber nun nicht mehr zu ändern.

»Mir auch nicht auch wenn ich dich weder hören noch sehen kann.«

»Ja, ich weiß. Désiree?«

»Ja?«

»Wo soll das hinführen?«

Schweigen. Lange, endlose Zeit des Wartens. Ich konnte ihre rasenden Gedanken beinahe bis hier unten spüren, denn mir ging es nicht besser. Dann kam die Antwort.

»Ich weiß nicht. Wirklich nicht. Lass und einfach sehen, was passiert, okay?«

»Ich weiß n
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