Rattenfang
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« am: Januar 26, 2010, 11:07:11 pm » |
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„Sie suchen mich?“ fragte sie, mit verwundertem Ton in der Stimme, den die Frau hatte Servet ja noch nie zuvor gesehen. „Ja!“ 3 Ihre blauen Augen musterten ihn neugierig und immer noch verwundert. Servet schätzte sie auf etwa Mitte Vierzig. Frau Meyer hatte ein attraktives Gesicht, mit wenigen Falten und einem hübschen Mund, der eine nette Art von Fröhlichkeit ausstrahlte. „Was wollen sie denn von mir?“ Sie runzelte die Stirn und legte den Kopf ein wenig schief. Ihr Blick sagte aus, dass sie erwarte, es würde sich hier um eine Verwechslung halten. Servet streckte die Hand aus und hielt ihr das Kuvert entgegen. „Ich soll ihnen das übergeben!“ „Mir? Das ist für mich?“ Sie griff danach - jetzt sichtbar noch mehr überrascht – drehte und wendete es nach allen Seiten. Das Kuvert war ohne jede Beschriftung. Dann steckte sie den ausgestreckten Zeigefinger unter die angeklebte Lasche und riss es auf. Servet hatte schon oft irgendwelche Briefe und Schriftstücke des Alten übergeben, ohne zu wissen was der Inhalt war. Auch hier interessierte es ihn nicht, bis er die Reaktion der Frau beobachtete! Iris Meyer zog ein paar Bögen ein Stück hervor und dann prallte sie zurück, als habe ihr jemand einen Schlag versetzt. Mit hektischen Bewegungen stopfte sie wieder alles in den Umschlag hinein. „Was soll das?“ sagte sie leise und Servet meinte zu erkennen, dass sie blass geworden war. „Wer hat ihnen das gegeben?“ „Frau Meyer ich habe keine Ahnung was sich in diesem Umschlag befindet. Und ich bin nicht in der Lage ihnen zu sagen in wessen Auftrag ich das bei ihnen abgeliefert habe!“ Sie grub die Zähne in die Unterlippe und atmete heftig. „Ich will wissen wer mit das geschickt hat. Auf der Stelle!“ Trotz ihrer erkennbaren Fassungslosigkeit war sie aggressiv und richtig feindselig. Er hob beschwichtigend die Hände. „Hören sie, ich ……“ „Das interessiert mich nicht! Ich will wissen was das soll!“ unterbrach sie ihn und zischte dabei wie eine Schlange. Obwohl Frau Meyer leise sprach, drehten ein paar Patienten und Besucher auf dem Gang die Köpfe nach ihnen. Auch die Schwester aus dem Zimmer schob den Kopf durch den Türrahmen und fragte: „Ist alles in Ordnung, Iris?“ Sie nickte nur, das Gesicht immer noch blass. „Ja. Alles bestens!“ meinte sie beschwichtigend. Servet hätte zu gerne gewusst, was die Frau so in Rage brachte. Doch wenn der Büyük Amca der Meinung gewesen wäre, er dürfte es wissen, dann hätte er ihm bestimmt etwas über den Inhalt verraten. Das Einzige was der Alte noch gesagt hatte war, dass er ihn anrufen solle, sobald der Umschlag an Iris Meyer übergeben war. Und das tat Servet jetzt auch. 4 (2) Der Mann, den jeder Büyük Amca nannte, hieß in Wirklichkeit nicht so, aber das interessierte natürlich niemanden. Als er als Jugendlicher nach Europa gekommen war – und das war schon einige Jahrzehnte her – hatte es nicht lange gedauert, bis man ihm diesen Namen gegeben hatte. Er stand für seine Angewohnheit und Fähigkeit demjenigen zu helfen, der seiner Meinung nach Hilfe verdient hatte und denjenigen zu bestrafen, der Strafe verdient hatte. Man respektierte und fürchtete ihn dafür und es gab viele, die seinen richtigen Namen wohl gar nicht kannten. Amca sah auf den ersten Blick nicht aus wie einer der einflussreichsten und reichsten Männer der Stadt. Und auf den zweiten Blick schon gar nicht. Er trug eine alte, ausgewaschene Jean und einen schon ein wenig verfilzten Wollpulver, den früher wohl ein dunkelrot-blaues Muster im Norwegerstil geziert hatte. Er war nicht besonders groß und von hagerer Statur, und hatte eine für einen Türken fast zu helle Hautfarbe. Trotz seines nicht gerade modernen Outfits wirkte Amca gepflegt und auf eigenartige Weise stilvoll. Sein graumeliertes Haar war straff nach hinten gekämmt und die hellen Augen funkelten aus einem schmalen, fast falkenähnlichen Gesicht, dessen spitze Nase ein wenig an den Schnabel dieses Vogels erinnerte. Das einzig luxuriöse an ihm war die französische Armbanduhr am Handgelenk, die mehr gekostet hatte als ein Mittelklassewagen. Sein Alter war schwer zu schätzen. Er konnte von Aussehen her genauso gut Ende der Vierzig sein wie Ende Sechzig. Die Leute wussten nur, dass er schon als kleiner Junge hierher gekommen war und das lag schon lange zurück. Den Büyük Amca nach seinem Alter zu fragen hätte niemand gewagt! Der alte Mann saß in seinem Kaffeehaus hinter einem Tisch und rauchte an einer Zigarette. Außer zwei jungen Türken, die an der Bar lungerten und der Kellnerin war das Lokal leer. Es roch ein wenig muffig, wie in Gaststätten in denen viel zu wenig gelüftet wird. Der Rauch von Amcas Zigarette schwebte in nebelartigen Schwaden in der Luft. Hier sah es nicht aus wie an einem Ort an dem an manchen Tagen mehr Geld umgesetzt wurde als in den Glaspalästen mancher Wirtschaftsmagnaten. Vier Stühle, alte, verfärbte Holztäfelung und ein paar angepinnte Poster türkischer Popstars. Die Kellnerin war an seinen Tisch getreten und fragte ob er noch einen Kaffee wolle. Außer der Tatsache, dass sie immer viel zu kurze Röcke trug und sehr lange Beine hatte, war das besondere an ihr, dass sie keine Türkin war. Amca empfand ein stilles Vergnügen daran, eine Einheimische für seine – so gut wie ausnahmslos – türkischen Gäste arbeiten zu lassen. Sigrid war noch keine zwanzig und ihre Drogenprobleme hatten sie in Amcas Arme getrieben. Er sorgte auf seine ganz besondere Art für sie und die Tatsache, hier von einer europäischen Blondine bedient zu werden, gab dem Lokal bei vielen Gästen einen ganz besonderen Touch. Plötzlich begann Amcas Mobiltelefon mit dem Ton eines orientalischen Volksliedes zu läuten und er gab Sigrid mit einer schnell Handbewegung zu verstehen, dass sie verschwinden solle. Während er es aufklappte und ans Ohr hielt, warf Amca noch einen raschen Blick auf ihre langen Schenkel. „Hallo?“ „Hallo, hier ist Servet! Warte kurz!“
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