Mandith
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Schreiben heißt Bleiben
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« am: Juni 01, 2012, 12:53:45 pm » |
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Anna hatte es aufgegeben, wie ein Tiger in ihrer Kammer auf und ab zu gehen. Grübelnd saß sie auf der Bettkannte und stützte den Kopf auf die Hände. Morgen würde sie ihre Idee in die Tat umsetzen. Hoffentlich war es noch nicht zu spät. Egal, zur Arbeit gehen würde Arnold jedenfalls nicht. Stattdessen würde er in die Innenstadt fahren und sich ein Handy besorgen. Das hätte er schon längst tun sollen. Dann hätte Anna wenigstens einen Draht zur Außenwelt, wenn sie in ihrer Kammer eingeschlossen war. Naja, die letzten Jahre war das nicht unbedingt notwendig gewesen. Die Herrin hatte ja immer mehr Zeit mit ihr verbracht, und eigentlich war Anna nur noch zum Schlafen eingesperrt gewesen, wenn man mal von der einen Stunde absah, die Mistress Jenna später nachhause kam als Arnold. Aber seit Mr. Milfort im Hause war, hatte Anna wieder öfter und länger in der Sklavenkammer sitzen müssen. Das wäre unter normalen Umständen auch nicht wirklich schlimm gewesen. Doch es waren keine normalen Umstände. Es waren ausgesprochen unselige Umstände. Höchst unerfreuliche, die Anna Angst machten. Ihre Herrin war nicht mehr dieselbe, seit sie Harry Milfort gefangen hielt. Und nun war auch noch dieser aufdringliche Sozialarbeiter aufgetaucht. Anna fragte sich, wie das da unten wohl ausgegangen sein mochte. Die Antwort darauf sollte sie bald bekommen, denn endlich steckte Mistress Jenna den Kopf zur Tür herein. „Kommst Du?“, sagte sie, „ich glaube, wir haben einiges zu besprechen“. „Ja, Mistress Jenna“, sagte Anna und stand auf, „das haben wir wohl“. Ganz wohl war ihr nicht. Immerhin würde sie der Herrin beichten müssen, dass sie viel mehr wusste, als diese glaubte. Schweren Herzens folgte Anna ihr in die Wohnräume.
Der Mann in dem dunklen Raum erwachte erneut aus der gnädigen Umnachtung. Und erneut quälten ihn die Glieder, auch wenn die Schmerzen nicht mehr so stark waren wie beim letzten Mal. Es fiel ihm kaum auf, dass es noch immer dunkel war. Es kam ihm ganz normal vor. Er konnte sich nicht erinnern, dass es jemals anders gewesen wäre. Vor Urzeiten, als ihn die sanfte Stille umfangen hatte, war es ihm vorgekommen, als hätten seltsame Lichter vor seinen Augen getanzt. Vage Bilder von Dingen, die er nicht einordnen konnte. Bilder von undefinierbarer Schönheit und Farbenpracht, gepaart mit sonderbaren Empfindungen. Sie waren dagewesen, doch nun waren sie verblasst, und der Mann verlor mehr und mehr die Erinnerung daran. Er wusste nicht, wo er war oder wer er war. Er war einfach nur da. Wie ein Neugeborenes betrachtete er seine dunkle Umwelt, registrierte die Schmerzen und die Unbeweglichkeit seines Körpers, als wäre es selbstverständlich. Der Mann hatte die Welt verlassen, die Harry Milfort gekannt hatte. Er war neu geboren worden, in eine andere Welt. In eine Welt, in der er sich neu orientieren musste. In eine Welt, die nur aus Schmerzen zu bestehen schien. Und aus Leere, unendlicher Leere. Nur ganz in der Ferne gab es den Hauch einer Erinnerung. Fetzen nicht greifbarer Visionen und Fantasien. Irreal und unerklärlich. Und bedrohlich, weswegen der Mann, der einst Harry Milfort gewesen war, sie unbewusst verdrängte, bis sie in der Tiefe des Vergessens versanken.
Immer wieder rief Court Jester Harrys Namen. Doch der Mann antwortete nicht. Er hörte ihn nicht einmal. Court hatte ja keine Ahnung, dass der Mann gar nicht mehr in der Nachbarzelle war, sondern in dem Raum dahinter. Fieberhaft überlegte er, was er tun konnte, ohne zu einem Ergebnis zu kommen. Aus diesem Gefängnis gab es kein Entkommen. Nur sie allein konnte ihn befreien, und immer noch glaubte Court, dass sie das nicht tun würde. Was sie gesagt hatte konnte einfach nicht wahr sein. Niemand konnte sich ernsthaft so etwas wünschen. Court hatte zwar schon davon gehört, dass Menschen im Wahn der Tat die Konsequenzen vergaßen, ja sogar billigend in Kauf nahmen. Diese Lady hier aber war nicht nur bereit, sie in Kauf zu nehmen. Sie schien sie zu erwarten und sogar tragen zu wollen, als gehöre es zu ihrem Plan. Ja, war es ihr denn überhaupt nicht klar, was sie im Gefängnis erwarten würde? Eine so schöne junge Frau zwischen brutalen, stumpfsinnigen, sexbesessenen Schwerverbrecherinnen, denen eine junge Haut mehr als willkommen war, um an ihr die widerlichsten Gelüste abzureagieren? Niemand wusste besser als Court, dass in den Gefängnissen des Landes pure Gewalt regierte. Auch und besonders in Frauengefängnissen. Das konnte nicht ihr Ziel sein, und deshalb mochte er auch nicht an seine eigene Befreiung glauben.
Das Gespräch mit der Herrin verlief anders als Anna es befürchtet hatte. Ruhig hörte Mistress Jenna zu, als die Sklavin von ihren Sorgen erzählte. Von ihrer Angst, dass unten im Keller etwas Schlimmes passierte, das veränderte Verhalten der Herrin, das plötzliche Auftauchen Mr. Jesters und der Sorge um die Zukunft. Auch ihr Wissen über die Monitore und den unter der Spielwiese liegenden Räumen, gab sie zu. Nicht jedoch, dass sie wusste, wie man in sie hineingelangte. Das behielt Anna tunlichst für sich. Zu groß war die Gefahr, dass Mistress Jenna Maßnahmen ergreifen würde, um Anna ein weiteres Eindringen unmöglich zu machen. Und das würde möglicherweise noch erforderlich werden. „Eigentlich sollte ich Dir böse sein, dass Du mir Dein Wissen verheimlicht hast“, sagte die Herrin, „aber ich verstehe Dich. Du bist besorgt gewesen, und Dein Handeln heute Nachmittag war genau richtig, obwohl es mir immer noch nicht ganz klar ist, wieso Du überhaupt im Hause warst. Krank scheinst Du ja nicht zu sein“. „Wir hatten nicht viel zu tun“, sagte Anna, „und da Sie gestern so seltsam waren, habe ich mir Sorgen gemacht und konnte mich nicht konzentrieren. Da bin ich heimgefahren, und plötzlich ist Mr. Jester aufgetaucht. Was ist denn mit ihm passiert?“. „Gar nichts ist mit ihm passiert“, sagte Jenna, „es geht ihm gut. Allerdings musste ich ihn einsperren“. „ Er ist auch da unten?“, fragte Anna entsetzt, „aber wie…“. „Keine Sorge“, sagte die Herrin, „der Mann ist hier eingebrochen, das kann ihn seinen Job kosten, wenn das jemand erfährt. Das möchte ich nicht unbedingt, und das werde ich ihm klarmachen. In ein paar Tagen ist das hier vorbei, und dann kann er wieder gehen“. In ein paar Tagen, dachte Anna, in ein paar Tagen! „Und was wird dann mit Mr. Milfort sein?“, fragte sie besorgt, „wird er dann…tot sein?“. „Nein“, entrüstete sich die Herrin, „wo denkst Du hin? Ich bin doch keine Mörderin“. „Aber…“. „Er wird dann seine Lektion gelernt haben“, sagte Jenna, „und er wird uns und Joe dann sicher nicht mehr belästigen“. „Aber wenn er Sie anzeigt“, warf Anna ein, „und Mr. Jester, was wird der tun?“. „Das weiß ich nicht“, sagte die Herrin achselzuckend, „das ist das Risiko, das ich eingehen muss“. „Aber dann müssen Sie ins Gefängnis“, erkannte Anna entsetzt, „das geht doch nicht. Das…das…was soll denn dann werden?“. Zärtlich nahm Jenna ihre geliebte Sklavin in den Arm. Die begann, bitterlich zu weinen. „Meine liebe Anna“, sagte Jenna und drückte sie ganz fest an sich, „das ist leider durchaus möglich. Aber das war mir von vornherein klar, und deshalb habe ich Vorsorge getroffen“. „Vorsorge?“, schluchzte Anna, „wie kann man denn da Vorsorge treffen?“. Hoffnung keimte in ihr auf. „In meinem Nachttisch liegt ein Umschlag“, sagte die Herrin, „wenn mir etwas derartiges passiert, wirst Du ihn herausholen und öffnen. Dann wirst Du sehen“. Ein Umschlag? Der würde helfen? Nein, dachte Anna, das würde er sicher nicht. Sie würde ihre Herrin verlieren. Das war ihr jetzt endgültig klar. Nur ein Wunder konnte das noch verhindern. Doch alleine darauf wollte sie sich nicht verlassen.
Am nächsten Vormittag setzte Arnold die Idee seines Alter Egos in die Tat um. Er meldete sich bei Christine ab und fuhr in die City, um einen Handyladen aufzusuchen. Er hatte schon seit Ewigkeiten kein eigenes Handy mehr besessen. Wozu auch? Wen hätte er denn anrufen sollen? Oder Anna? Wen hätte sie anrufen sollen? Es hatte keinerlei Gründe gegeben, ein Handy zu besitzen. Wichtige Telefonate konnte Arnold übers Firmentelefon erledigen. Nun, das hätte er im Prinzip auch jetzt tun können, doch er hatte ja nicht einmal eine Nummer, die er hätte anwählen können. Da er kein eigenes Telefon besaß, hatte er auch keine Liste. Die einzigen Rufnummern, die er kannte, waren die von Jenna und der Firma. Seine Eltern waren inzwischen verstorben, aber Arnold hatte ohnehin kaum noch Kontakt zu ihnen gehabt. Jenna hatte eine Liste, und Arnold wusste auch, wo die war. Kein Wunder, sie war nicht zu übersehen. Lag direkt neben dem Festnetztelefon im Wohnzimmer. Da würde Anna die Nummern finden, die sie benötigte. Arnold betrat den Laden und sah sich erst einmal etwas um, bevor ihn eine Verkäuferin ansprach. „Suchen Sie ein bestimmtes Handy?“, fragte sie. „Ja“, sagte Arnold, „gibt es noch welche, mit denen man einfach nur telefonieren kann?“. Erstaunt sah ihn die Verkäuferin an. Sie überlegte einen Moment, dann sagte sie mit einem breiten Lächeln: „Äh…………nein“.
Jenna war ebenfalls in der City unterwegs. Beinahe wäre sie Arnold über den Weg gelaufen, doch kurz vor dem Handyladen bog sie in eine Seitenstraße ein. Ihr Ziel war ein Zoogeschäft.
So langsam aber sicher konnte sich Court Jester in die Gefühle seiner Klienten hineinversetzen. Es musste schrecklich sein, ständig eingesperrt in einer Zelle zu sitzen. Das erfuhr er gerade am eigenen Leib. Immerhin hatte Miss Carson ihm heute Morgen ein ordentliches Frühstück gebracht, und sie war sehr freundlich zu ihm gewesen. Eigentlich eine sehr sympathische Frau und extrem attraktiv. Was musste in ihr vorgehen, dass sie so verrückte Dinge tat? Er musste unbedingt mehr über sie erfahren, und Court nahm sich vor, sie bei ihrem nächsten Auftauchen in ein Gespräch zu verwickeln. Wenn sie sich denn darauf einließ. Heute Morgen hatte das nicht geklappt. Es war zu wenig Zeit gewesen. Offenbar hatte sie noch arbeiten müssen. Als sie ihn versorgt hatte, war sie in die andere Zelle gegangen, wo sie sich anscheinend um Harry gekümmert hatte. Gehört hatte Court nichts. Nur ein merkwürdig schabendes Geräusch, als wenn etwas beiseite gerückt würde. „Keine Sorge, Mr. Jester“, hatte sie gesagt, als sie wieder zu ihm zurückgekommen war, „wir haben es bald geschafft. Ich denke, morgen Nachmittag, spätestens aber morgen Abend sind Sie wieder zuhause. Je nachdem, wie schnell die Polizei da ist“. Dann hatte sie das Tablett an sich genommen und war gegangen. Die Polizei…? Wollte sie wirklich die Polizei rufen? Court war ganz anders bei dem Gedanken geworden. Einerseits eine gute Nachricht. So konnte er wenigstens damit rechnen, hier auch wirklich wieder rauszukommen. Aber wie würde es dann weitergehen? Was würde mit ihr geschehen? Darüber hatte er den ganzen Vormittag nachgedacht. Und das tat er auch jetzt noch. Mal sehen, was wir da haben, dachte er. Im besten Fall: Kidnapping, Freiheitsberaubung in zwei Fällen, schwere vorsätzliche Körperverletzung in einem Fall. Das würde für mindestens fünfzehn Jahre reichen, eher zwanzig. Im ungünstigsten Fall, falls der gute Harry das hier nicht überleben würde: Lebenslänglich! Das konnte doch nicht ihr Ernst sein. Wegen diesem Drecksack! Und Court selbst? Was für Konsequenzen konnte das für ihn selbst haben? Er war hier eingebrochen. Nicht wirklich schlimm, aber auch nicht gerade ein Kavaliersdelikt. Das konnte ihm böse Schwierigkeiten einbringen, besonders hinsichtlich seines Jobs. Mindestens ein Disziplinarverfahren. Verdammt, dachte Court, gab es denn niemanden, der diese Frau aufhalten konnte?
Keine leicht zu beantwortende Frage, die sich auch Arnold stellte, als er nachhause fuhr. Natürlich war er nicht mehr zurück in die Firma gefahren. Er war viel zu nervös. Die Dinge liefen komplett aus dem Ruder, und er brauchte schleunigst die Rufnummern, bevor es endgültig zu spät war. Zum ersten Mal verwandelte er sich nicht gleich in Anna, nachdem er das Haus betreten hatte, sondern ging sofort in Jennas Wohnzimmer und griff sich die Liste mit den Telefonnummern. Hastig übertrug er die wichtigsten auf einen Notizzettel. Erst dann ging er in die Sklavenkammer, um sich zurecht zu machen. Sorgsam achtete er darauf, dass die Tür nicht ins Schloss fallen konnte. Es war noch früh, erst dreizehn Uhr. Eine halbe Stunde später rannte Anna die Treppen hinab. Sie musste sich unbedingt ein Bild von der derzeitigen Situation machen.
Zur selben Zeit betrat Jenna den Laden, in dem noch vor einer guten Stunde ein gewisser Arnold Summers ein Handy gekauft hatte. Sie brauchte ebenfalls eins. Ein Prepaid-Handy. Für einen einzigen Anruf.
Sie kommt schon wieder, dachte Court, als die Stahltür aufschwang. Doch dann erkannte er, dass es nicht Miss Carson war, die durch die Schleuse trat, sondern die nervöse Frau, die ihm die Tür geöffnet hatte. War sie eine Komplizin? Wenn ja, dann war sie jedenfalls nicht so cool wie die Hausherrin. „Ich komme gleich zu Ihnen“, sagte sie und ging in die andere Zelle. Court hörte wieder das schabende Geräusch. Anna schob die geheime Tür auf und betrat den kahlen Raum. Es war dunkel und sie tastete nach dem Lichtschalter, den sie links neben der Tür auch fand. Mr. Milfort lag regungslos auf dem Boden, direkt neben der nun geöffneten Falltür und brabbelte unverständliches Zeugs vor sich hin. Um seine Brust war ein Seil geschlungen, das nach oben durch den Flaschenzug führte. Anna war sofort klar, was das zu bedeuten hatte. Mistress Jenna wollte ihn in das Loch hinablassen. Sie beugte sich zu dem gequälten Mann hinunter und sah ihn sich genau an. Er war in einem erbärmlichen Zustand, immer noch an Händen und Füßen gefesselt und offensichtlich nicht bei Verstand. Außerdem stank er nach Schweiß und Urin. Er musste inzwischen unerträgliche Schmerzen haben, doch irgendwie schien sein Körper auf Notstrom umgeschaltet zu haben. Er zeigte jedenfalls kaum eine Reaktion. Anna war sich plötzlich gar nicht mehr sicher, ob sie den Worten der Herrin Glauben schenken sollte. Der Mann war ja schon mehr tot als lebendig, und wenn er erst einmal in dem Loch unter der Falltür liegen würde, war es nur noch eine Frage der Zeit, bis… Weiter mochte Anna nicht denken. Schnell erhob sie sich, löschte das Licht und verließ die unheimliche Kammer. „Hey“, rief Court, als sie wieder aus der Zelle kam, „was haben Sie da drinnen gemacht? Wie geht es Harry?“. „Er lebt, wenn Sie das meinen“, sagte Anna, „aber ich bin mir nicht sicher, wie lange er das noch aushält“. „Machen Sie das hier etwa mit?“, fragte Court, „wollen Sie auch unbedingt in den Knast?“. „Nein“, sagte Anna, und Court erkannte, dass die ganze Geschichte sie sehr bedrückte. „Hören Sie“, sagte er eindringlich, „dann sollten Sie mir dringend helfen. Wenn Harry noch lebt, ist es noch nicht zu spät“. „Was soll ich denn tun?“, fragte Anna verzweifelt, „Mistress Jenna ist meine Herrin, und ich habe Angst, sie zu verlieren“. „Ihre Herrin?...Ah…ich glaube, ich verstehe“. Das war es also. Die hübsche Frau war eine Sklavin. Da musste Court wohl ein bisschen Überzeugungsarbeit leisten, um sie zum Handeln zu bewegen. „Sie werden Ihre Herrin auf jeden Fall verlieren, wenn Sie nicht bald etwas unternehmen“, sagte Court, „hier wird morgen Nachmittag die Polizei auftauchen“. „Die Polizei?“. Entsetzt schlug Anna die Hände vors Gesicht. „Das kann doch nicht sein“, sagte sie, „woher wollen Sie denn das wissen?“. „Weil sie es gesagt hat“, versuchte Court ihr zu erklären, „Ich befürchte, Ihre Herrin wird sie selbst herbeirufen. Aus irgendeinem verrückten Grunde will sie unbedingt ins Gefängnis, wenn sie mit Mr. Milfort fertig ist. Und das wird morgen sein“. „Um Gottes Willen“, keuchte Anna, „ich kann mir den Grund vorstellen…aber…aber das…das darf nicht passieren“. „Mit einem Bein steht sie schon drin“, sagte Court, „lassen Sie mich raus“. „Nein“, sagte Anna, „das geht nicht. Das würde sie mir nie verzeihen. Ich werde jemanden anrufen“. Sie holte ihr neues Handy hervor und tippte die Nummer ein. „Es geht nicht“, sagte sie verzweifelt, „es funktioniert nicht“. „Wieso nicht?“, fragte Court, „kein Empfang?“. „Doch“, sagte Anna, „kein Anbieter, steht hier“. „Ist es neu?“, wollte er wissen. „Ja“, sagte Anna, „ich habe es gerade erst gekauft“. „Sie müssen es freischalten lassen“, sagte Court, „Sie scheinen ja überhaupt keine Ahnung zu haben“. „Hab ich auch nicht“, gab Anna zu, „was soll ich denn jetzt machen?“. „Holen Sie den Karton mit dem Papierkram. Ich helfe Ihnen. Und beeilen Sie sich“. Anna rannte los. Süß, die Kleine, dachte Court, aber ein ganz klein wenig hilflos. Das musste er ändern.
„Geben Sie her“, sagte Court, als sie nach ein paar Minuten wiederkam, „ich mach das für Sie“. „Nein“, protestierte Anna, „wer garantiert mir, dass Sie dann nicht die Polizei anrufen?“. „Seien Sie nicht dumm“, schimpfte Court, „die taucht hier morgen Nachmittag sowieso auf. Wollen Sie, dass ich Ihnen helfe, oder nicht?“. „Ja, aber…“. „Dann geben Sie den Kram her“, sagte er. Anna zögerte. Konnte sie dem Mann vertrauen? Wem konnte sie überhaupt vertrauen, und was für eine Wahl hatte sie eigentlich? „Na schön“, sagte Court, „dann machen Sie es eben selbst. Sie müssen die Nummer anwählen, die auf der Beschreibung steht, da meldet sich dann ein automatischer Service“. Automatischer Service? Ach Du Scheiße, dachte Anna, auch das noch. Musste das denn immer so kompliziert sein? „Hier“, sagte sie und reichte Court das ganze Paket durch die Gitterstäbe. Hoffentlich machte sie keinen Fehler. Nach wenigen Minuten hatte Court die Freischaltung, und sofort tippte er eine Nummer ins Handy. „Was machen Sie da?“, fragte Anna entsetzt. War sie doch zu vertrauensselig gewesen? „Keine Angst“, sagte Court, „ich rufe nur meine Freundin an, bevor die noch eine Vermisstenanzeige aufgibt“.
Daran hatte Eileen zwar noch nicht gedacht, verwundert war sie aber dennoch. Es war noch nie vorgekommen, dass Court über Nacht weggeblieben war. Jedenfalls nicht, ohne sie vorher davon in Kenntnis zu setzen. Dabei hatte sie ihn gestern Abend mit einem neuen Outfit für ihre Spielchen überraschen wollen. Sie hatte beim Shoppen einen tollen Spielanzug aus weißem Satin gefunden. Mit Clownsgesichtern als Muster. Was es alles gab… Eileen war überzeugt davon gewesen, dass Court darauf abfahren würde. Stundenlang hatte sie in dem schönen Teil auf ihn gewartet, und dann war der Sack einfach nicht gekommen, und ans Handy war er auch nicht gegangen. So was machte man nicht mit einer Frau, die sich extra fein gemacht hatte, und dementsprechend war sie auch gelaunt, als das Telefon bimmelte. „Sachte, sachte“, sagte Court ruhig, nachdem sie sich verbal ausgetobt hatte, „ich kann nichts dafür, mein Mäuschen. Es ist mir etwas dazwischengekommen, dass sich nicht aufschieben ließ…ja, tut mir auch leid, aber es handelt sich um eine sehr wichtige geschäftliche Angelegenheit, die meinen ganzen Einsatz erfordert. Ich habe hier einen ganz speziellen Klienten, um den ich mich kümmern muss, und es wird auch noch etwas dauern, bis hier alles geregelt ist“. „Was heißt dauern?“, fragte Eileen stocksauer, „sag die Wahrheit. Bist Du bei einer Frau?“. Oha, dachte Court, die ist auf achtzig, und in gewissem Sinne hatte sie ja sogar Recht mit ihrer Vermutung. Genaugenommen war er sogar bei zweien. „Nein, nein“, versicherte er ihr schnell, „Du weißt doch, dass ich so was nicht mache, und welche Frau will schon was mit einem Clown anfangen?“. „Ich, zum Beispiel“, sagte sie gereizt, „weißt Du, wie lange ich auf Dich gewartet habe? Und ich habe mich extra…“. „Ich weiß, mein Täubchen“, flötete Court dazwischen, „aber das nützt nun mal nichts. Es handelt sich um die Sache mit Mr. Milfort. Ich glaube, ich habe ihn gefunden, nur ist er leider nicht in Newport, und deswegen dauert es noch bis morgen Abend, bis ich wieder bei Dir bin“. „Bis morgen Abend?“. Eileen traute ihren Ohren nicht. „Der Kerl scheint Dir ja extrem wichtig zu sein“, schimpfte sie, „wichtiger als ich anscheinend. Das ist ja wohl… wo steckst Du denn überhaupt?“. „In…äh…in Brenton“, log Court, „wie gesagt. Morgen bin ich wieder da. Ich muss jetzt los, mein Schatz. Ich ruf Dich wieder an“. „Wehe nicht“, warnte Eileen ihn und legte auf. So ein Mistkerl, dachte sie, und alles wegen diesem blöden Harry Milfort.
„Warum haben Sie das gemacht?“, fragte Anna. Offensichtlich war der Mann doch vertrauenswürdiger als sie gedacht hatte. Und das in seiner Situation. Erstaunlich. „Warum habe ich was gemacht?“, gab Court zurück. „Sie haben sie angelogen“, sagte Anna, „wieso tun sie so etwas?“. „Ich weiß auch nicht“, sagte Court, „wahrscheinlich bin ich genauso verrückt wie Ihre Herrin. Hm…irgendwie habe ich das Gefühl, Ihnen helfen zu müssen. Aber eines kann ich Ihnen jetzt schon sagen: Ganz ungestraft wird die Lady nicht davonkommen, und anscheinend will sie das ja auch gar nicht. Hier, nehmen Sie das Handy. Wen wollten Sie denn anrufen?“. „Ihre Mutter“, sagte Anna, „das scheint mir die beste Möglichkeit zu sein“. „Moment mal“, staunte Court, „ihre Mutter? Die ist doch tot…“. „Nein“, sagte Anna und tippte die Nummer ins Handy, „das war Mrs. Carson. Mistress Jennas richtige Mutter ist noch sehr lebendig“. „Aha“, sagte Court und verstand kein Wort.
Mit dem Ende des Regens war in den letzten Tagen wieder Bewegung in die Gruppe junger Menschen gekommen. Zwei Tage noch, dann war das letzte Ferienlager des Sommers beendet, und die Jugendlichen würden wieder in die Obhut ihrer Eltern zurückkehren. Einige hier geschlossene Freundschaften würden weitergehen, andere im Sande verlaufen. Wie immer nach solchen Tagen. Heute war die ganze Meute zu einer ganz speziellen Tour aufgebrochen. Zur Moonlight-Tour, dem Höhepunkt der zwei Wochen auf der Farm. Die Pferde wurden dafür nicht gebraucht. Es war eine Fahrradtour durch den Wald, hinauf zum zwanzig Meilen entfernten Hexenberg. Zum Glück hatte sich das Wetter wieder stabilisiert, so dass die Tour planmäßig stattfinden konnte. Bei unsicherer Witterungslage wäre sie ausgefallen, denn es gab auf dem Gipfel keine Möglichkeit, sich vor Regen oder Sturm zu schützen. Dort oben hatten die jungen Leute nur ihre Zelte und ein Lagerfeuer. Bei dem derzeitigen Wetter erwartete sie eine wunderbar romantische Nacht und ein fantastischer Sonnenaufgang, der alleine bereits den mühevollen Aufstieg wert war. Schon am Vormittag war Joe mit der Truppe aufgebrochen, und Lucy war mit Mira, die ihre freien Tage nutzte, um sie mit Lucy und Joe zu verbringen, alleine auf der Farm zurückgeblieben. Die beiden hatten die Gelegenheit wahrgenommen und vergnügten sich in Lucys kleinem Studio im Keller. Seit Jahren hatten sie nicht mehr gemeinsam gespielt. Umso mehr genossen sie ihre Zweisamkeit, und Mira war gerade dabei, ihre alte Freundin in einen Kokon aus Seilen zu binden, als das blöde Handy klingelte. „Scheiße“, schimpfte Lucy, „wer ruft denn jetzt an?“. „Lass es klingeln“, sagte Mira, „Du hast sowieso keine Hand frei“. „Das geht nicht“, erwiderte Lucy, „was ist, wenn das Joe ist? Ich muss erreichbar sein, falls auf der Tour etwas passiert“. „Was soll denn passieren?“, wollte Mira wissen. „Alles Mögliche“, sagte Lucy, „ein Sturz, Verletzungen, was weiß ich. Nimm das Gespräch mal eben für mich an. Es könnte wichtig sein“. „Na gut“, sagte Mira genervt, „man gönnt uns aber auch gar nichts“. Sie ging zu dem kleinen Strafbock, auf dem das Handy lag und nahm es an sich. „Joes Nummer ist das nicht“, sagte sie mit einem Blick auf das Display. Dennoch drückte sie den grünen Knopf. „Hallo…“. „Wer ist es denn?“, fragte Lucy, als sie sah, dass sich Miras Miene immer mehr verfinsterte, während sie wortlos dem Anrufer zuhörte. „Pst“, sagte Mira nur und hörte weiter zu. Unruhig wand sich Lucy in den Fesseln. Mira war zwar noch nicht fertig gewesen, aber es hatte gereicht, um Lucy handlungsunfähig zu machen. „Okay, Anna“, sagte Mira schließlich, „jetzt noch einmal ganz ruhig. Du bist ja so aufgeregt, ich bin nicht sicher, ob ich das jetzt richtig verstanden habe“. „Anna?“, fragte Lucy, „ist etwas mit Jenna? Gib her, Mira. Halt mir das Handy ans Ohr“.
„Geben Sie her“, sagte auch Court, „ich übernehme das. Sie kriegen ja kein vernünftiges Wort raus“. Anna gab ihm das Handy. „Hallo…hier ist Court Jester. Mit wem spreche ich?“, fragte er. „Mr. Jester?“, wunderte sich Lucy, „ich denke, Anna…“. „Die steht vor mir“, sagte Court, „mit wem spreche ich, bitte?“. „Mit Mrs. Johannsen“, sagte Lucy, „was ist denn los? Ist was mit Jenna?“. „Mrs. Johannsen?“, fragte Court ungläubig, „Sie sind Miss Carsons Mutter?“. „Ja, verdammt“, schrie Lucy in den Hörer, „und jetzt sagen Sie mir endlich, was los ist. Ist Jenna etwas passiert?“. „Noch nicht“, sagte Court, „aber es wird etwas passieren. Ihre Tochter ist gerade dabei, sich um Kopf und Kragen zu bringen“. Angespannt lauschte Lucy seinen Ausführungen. „Um Gottes Willen“, sagte sie zwischendurch entsetzt, „was zum…“. „Jetzt hören Sie gut zu“, sagte Court, „Sie müssen hierher kommen, aber nicht jetzt gleich. Kommen Sie morgen Früh, nachdem Ihre Tochter das Haus verlassen hat. Und besorgen Sie sich bis dahin jemand, dem Sie vertrauen können. Jemand, der sich um Mr. Milfort kümmert. Sie werden verstehen, dass ich mir damit nicht die Hände schmutzig mache. Und noch eines: Ich werde Ihnen nur unter einer Bedingung helfen, und da lasse ich nicht mit mir handeln, klar?“. „Okay“, sagte Lucy, „lassen Sie hören“. Court stellte seine Bedingung, und während Anna laut „Nein“ schrie, überlegte Jennas Mutter einen Moment. Dann sagte sie: „In Ordnung, Mr. Jester. Ich werde dafür sorgen, dass Ihre Bedingung erfüllt wird. Das verspreche ich Ihnen“. „Und halten Sie Ihr Versprechen, Mrs. Johannsen“, sagte Court eindringlich, „Sie haben keine Alternative. Im anderen Fall wären die Konsequenzen nicht abzusehen“. „Keine Sorge“, sagte Lucy, „ich habe verstanden“. „Dann haben wir einen Deal“, sagte Court, „bis morgen“. Er legte auf. Flehend sah Anna ihn an. „Tut mir Leid, Miss“, sagte er, „was sein muss, muss sein“.
„Binde mich los, Mira“, sagte Lucy, als das Gespräch beendet war, „und rufe Mr. Dooley an“. „Dann hab ich´s also doch richtig verstanden“, sagte Mira, „Junge, Junge. Hoffentlich geht das gut“. „Das hoffe ich auch“, sagte Lucy nachdenklich, „nun ruf schon an. Losbinden kannst Du mich immer noch“.
Ganz langsam machte sich in Jenna die Aufregung breit. Sie war kurz vorm Ziel. Morgen würde es soweit sein. Dann würde sie sich ein letztes Mal um Mr. Milfort kümmern. Ein Geschenk hatte sie noch für ihn. Ein ganz spezielles. Dann konnte das Spiel beginnen, dass sie sich immer erträumt hatte. Ihr Spiel! Ihr ganz eigenes! Der Gedanke daran ließ sie erschauern, und endlich war da wieder dieses Kribbeln. Dieses untrügliche Kribbeln, so intensiv wie damals, als sie es zum ersten Mal gespürt hatte, und wie es seitdem nie wieder gewesen war, nicht in der Intensität der allerersten Stunde. Das Kribbeln, auf das sie so viele Jahre gewartet hatte, auf das sie mit großer Geduld hingearbeitet hatte. Dieses Kribbeln, das sich unweigerlich in das Pochen verwandeln würde, das den Verstand ausschaltete. Sie musste sich zusammenreißen. Noch einen Abend, eine Nacht und fast einen Tag. Sie wusste, es würde schwer werden. Sie durfte nicht mehr schwach werden in dieser Zeit. Alles wäre umsonst gewesen. Morgen war der Tag, an dem sie das Ziel ihres Weges erreichen würde. Nur eines störte sie daran. Anna! Ihre große Liebe! Sie war damals nicht vorgesehen gewesen. Nicht so. Ein Spielzeug hatte Jenna haben wollen. Ein Spielzeug, das sie benutzen und wieder wegwerfen konnte, wie es ihr beliebte. Doch das war gründlich anders gekommen. Die Liebe war in ihr Leben getreten. So etwas konnte man nicht planen. Und das trübte die Erwartung des großen Ereignisses. Jenna wusste, dass sie ihrer geliebten Sklavin unendlich wehtun würde, und auch sich selbst. Doch es gab kein Zurück. Sie war schon zu weit gegangen. In ihrem Gefängnis lag ein Mann, den sie an den Rand des Todes gebracht hatte, und das letzte Geschenk hatte er noch gar nicht erhalten. Heute Abend würde sie die letzten Vorbereitungen dafür treffen. Eigentlich hatte sich Jenna noch etwas mehr Zeit nehmen wollen, doch das Auftauchen Mr. Jesters hatte die Sache beschleunigt. Sie konnte und wollte den armen Mann nicht ewig festhalten. Er hatte ja gar nichts mit der Sache zu tun, außer dass er sich so penetrant an Harrys Spuren geheftet hatte. Das war auch etwas, was sie nicht hatte planen können. Jenna musste aufpassen, dass auf den letzten Metern nicht noch irgendetwas dazwischen kam, was nicht in den Plan passte. Endlich erreichte sie die Straße zum grauen Wald. Sie bog in den Hof ein und parkte ihren Wagen. Sie nahm das Geschenk vom Rücksitz und ging die Stufen hoch zur Eingangstür ihres Hauses. Ihres Hauses? Jenna musste beinahe lachen. Es war ja gar nicht mehr ihr Haus. Es gehörte ihr schon seit einigen Tagen nicht mehr. Es gehörte inzwischen einem gewissen Mr. Arnold Summers. Er wusste es nur noch nicht. Festen Schrittes betrat Jenna Annas Haus.
„Er nimmt nicht ab“, sagte Mira, „bist Du sicher, dass das die richtige Nummer ist?“. „Das ist die einzige, die ich habe“, antwortete Lucy, „ist aber schon etwas her, dass ich die benutzt habe“. „Warte“, sagte Mira, „ich vergleich sie mal mit meiner…hm…ist dieselbe…ich versuch´s nochmal“.
Das war zurzeit allerdings sinnlos, denn Blake Dooley befand sich in einer Besprechung in einem alten Bunker bei den Docks, und da gab es keinen Empfang, was Blake als ausgesprochen angenehm empfand, denn er wurde bei dieser Art Besprechungen nur ungern gestört. Der Mann, mit dem er etwas zu besprechen hatte, hätte eine Störung sicherlich begrüßt. Es handelte sich um einen gewissen Chuck Williams, und er hatte die Frechheit besessen, beim letzten Deal etwas Koks abzuzweigen. Ein halbes Pfund, um genau zu sein. So etwas schätzte Blake Dooley ganz und gar nicht. Noch weniger schätzte er es, solche Besprechungen abhalten zu müssen. Im Gegenteil, er hasste das. Umso mehr, wenn es sich bei dem Mann um einen eigentlich absolut integren Mitarbeiter handelte. Und das war Chuck Williams. Dummerweise war sein kleiner Sohn schwer erkrankt und benötigte dringend eine lebensnotwendige Operation, die leider sehr teuer war. Zu teuer für Chuck, und da war ihm nichts anderes eingefallen, als sich heimlich zu bedienen. Pech nur, dass er dabei beobachtet worden war. Und so saß er nun in dem alten Bunker auf einem klapprigen Stuhl und hatte soeben die Talente einer gewissen Lady Tanya kennengelernt, was ihn in seiner Mobilität stark einschränkte. „Wie lange arbeitest Du nun schon für mich?“, fragte ihn sein Boss mit der berüchtigten Fistelstimme. „Fünf…fünf Jahre, Mr. Dooley“, stotterte Chuck ängstlich. Er zitterte am ganzen Körper, in Anbetracht dessen, was ihm bevorstand. Er kannte die Lady und wusste genau, was zu verursachen sie in der Lage war. „Fünf Jahre“, wiederholte Blake gedehnt, „und da fällt Dir nichts Besseres ein, als mich zu beklauen, anstatt mich um Hilfe zu bitten?“. „Ich…ich war…ich wusste…“. Chuck wusste nicht, was er sagen sollte. Es war ja sowieso sinnlos. „Und zwingst mich damit zu so einer Scheiße?“. Mr. Dooley war stocksauer. „Bin ich nicht immer ein lieber, netter Chef gewesen, zu dem man jederzeit kommen kann, wenn man Sorgen hat?“. „D…d…doch, Mr. Dooley“, zwang sich Chuck zu einer Antwort. Verschämt senkte er den Kopf. „Sieh mich an, wenn ich mit Dir rede“, schimpfte der Boss, „warum hast Du das gemacht?“. „M…mein Junge…er ist…“. „Das weiß ich, Du Trottel“, unterbrach ihn Blake, „ich will wissen, warum Du zu solchen Mitteln gegriffen hast“. Chuck rang nach den richtigen Worten. „Ich…ich wusste nicht mehr, was…was ich…“. „Humbug“, grölte Blake dazwischen, „seit fünf Jahren arbeitest Du für mich und kennst mich immer noch nicht. Du bist ein Blödmann“. „Ja, Mr. Dooley“, sagte Chuck verzweifelt, „Sie…Sie haben ja Recht“. „Was soll ich denn nun mit Dir machen, hä?“. Wütend ging Blake Dooley auf und ab. Chuck antwortete lieber nicht. „Ich sag Dir was“, sagte Blake, als er sich wieder etwas beruhigt hatte, „ich bin nicht unbedingt sauer darauf, dass Du mich in Deiner Not beklaut hast. Ich bin sauer, weil Du mir nicht vertraut hast. Ich bemühe mich, wie ein Vater zu Euch zu sein, und dann passiert so was. Das kann ich nicht durchgehen lassen“. „N…nein…“, sagte Chuck. Er war überzeugt, dass sein letztes Stündchen geschlagen hatte. „Aber ich bin ja kein Unmensch“, sagte Blake, „Du hast das ja nicht getan, um Dich zu bereichern, und deshalb verzeihe ich Dir den Diebstahl“. Ungläubig riss Chuck die Augen auf. „Aber ich verzeihe Dir nicht Deine Blödheit“, fuhr Blake fort, „Dummheit muss bestraft werden, sie ist die Wurzel allen Übels in dieser schönen Welt“. Also doch, dachte Chuck. Er hatte schon Hoffnung geschöpft. Was würde nun aus seinem kleinen Jungen werden? „Und deshalb“, machte Blake weiter, „deshalb wird die Lady Dir gleich einen Knebel und eine Augenbinde verpassen, dann kannst Du hier bis morgen Früh über das Wort Vertrauen nachdenken. Und vergiss nicht, danach ins Krankenhaus zu fahren. Da wird Dein Junge nämlich gerade hingebracht. Die Operation findet morgen Nachmittag statt, und er wird Deinen Zuspruch brauchen…los, Tanya, ein paar Stunden Isolation werden dem Dummkopf guttun“. „Aber gerne, Blake“, sagte Tanya, froh über die unerwartete Wendung. Sie hätte Chuck nur ungern wehgetan. Der konnte kaum glauben, was er eben gehört hatte. Bevor er sich bedanken konnte, hatte Tanya ihm allerdings schon den Mund vollgestopft.
„So ein Idiot“, schimpfte Blake, als er mit Burt den Bunker verließ, „bringt sich in Gefahr, seinen kleinen Sohn zu verlieren. Ach, ich werde langsam alt. Vor ein paar Jahren wäre er nicht davongekommen. Hoffentlich lernt er daraus“. „Das wird er sicher“, sagte Burt, „der wird Dir in Zukunft die Füße küssen“. „Ach, leck mich“, sagte Blake verärgert, „das kann er bei seiner netten Frau machen. Die hatte mehr Vertrauen zu mir als er. Ich werde erst mal Jessica anrufen. Ich brauch etwas…äh…Ausgleich“. „Verstehe“, sagte Burt, und Blake holte sein Handy hervor. „Oh“, sagte er, „zwei Anrufe in Abwesenheit. Nanu? Einer von Lucy und einer von Mira? Was wollen die denn? Mal sehen, Mira hab ich ja ewig nicht mehr gesehen“.
Jenna ging direkt nach oben und öffnete die Sklavenkammer. Anna saß wie immer auf der Bettkannte. „Guten Abend, meine Kleine“, sagte sie, „Hab ein bisschen Geduld, ich habe im Moment leider keine Zeit für Dich“. Rums, war die Tür auch schon wieder zu. War klar, dachte Anna, Mistress Jenna hatte sich bestimmt nur vergewissern wollen, dass ihre Sklavin auch schön brav in der Kammer hockte. Und damit hatte sie Recht. Genau deshalb hatte Jenna nachgesehen. Sie hatte noch Einiges vor, bevor sie sich mit Anna befassen konnte.
Lucy und Mira saßen in der Küche und beratschlagten, was sie tun konnten, nachdem sie Mr. Dooley nicht erreicht hatten. An die Fortsetzung ihrer kleinen Session war nicht mehr zu denken gewesen. Dafür war die Situation zu ernst. Lucy wollte gerade Joe anrufen und ihn bitten, die Tour abzubrechen, als Miras Handy klingelte. „Hallo?“. „Blake Dooley hier“, klang es aus dem Hörer, „was ist los, Mira? Ärger mit der Kundschaft?“. „Blake, ein Glück“, sagte Mira, „nicht mit der Kundschaft, viel schlimmer. Wir brauchen dringend Ihre Hilfe…“. „Ach Du Scheiße“, sagte Blake, als ihm Mira die Lage geschildert hatte, „ich wusste doch, dass das nicht gut geht. Okay, ich denke mir was aus. Wir sehen uns morgen Vormittag“.
Court ließ sich nichts anmerken, als Jenna herunterkam. Sie sah atemberaubend aus in ihrem schwarzen Negligee, den Nylons und den High-Heels, und wenn er nicht so eine treue Seele wäre, bei ihr wäre er sicher schwach geworden. „Hey, Lady“ rief er ihr zu, kaum dass sie die Schleuse passiert hatte, „ich werde hier langsam verrückt. Lassen Sie mich raus. Was haben Sie schon zu verlieren?“. „Geduld, Geduld, Mr. Jester“, sagte sie freundlich, „Einen Tag müssen Sie schon noch warten. Wenn ich sie jetzt freilasse, versauen Sie mir das Finale. Aber ich werde Ihnen gleich gerne etwas Gesellschaft leisten, wenn Sie möchten. Jetzt habe ich aber erst einmal etwas anderes zu tun. Der arme Mr. Milfort muss versorgt werden. Er wird sicher durstig sein“. Und das war der Mann, der nicht wusste, wie er hieß oder wo er war. Sehr sogar. Gierig saugte er das Wasser in sich hinein, das ihm die schöne Erscheinung in den Mund goss. Irgendwoher kannte er sie, doch er konnte sich nicht erinnern, woher. Er genoss die wohltuenden Massagen, als sie ihn mit einer Salbe einrieb, die seinen gepeinigten Muskeln Linderung verschaffte. Interessiert blickte er sie an. Die Dunkelheit war verschwunden und einem Licht gewichen, an das er sich langsam gewöhnte, nachdem es sich zunächst schmerzhaft in seine Pupillen gebohrt hatte. „Harry“, rief die Schönheit immer wieder, während sie ihm das Gesicht tätschelte. Der Mann glaubte, diesen Namen schon einmal gehört zu haben, konnte ihn aber nicht einordnen.
Scheiße, dachte Jenna, der Mistkerl ist nicht bei Verstand, der merkt gar nichts mehr. Dabei hatte sie doch noch ein wunderbares Geschenk für ihn. Nun, das war jetzt auch egal. Morgen Früh würde er es erhalten, ob bei Verstand oder nicht. Sie würde nicht von ihrem Plan abweichen, und so erhob sie sich, löste das Ende des Seils von dem Ring an der hinteren Wand und betätigte den Flaschenzug. Eine Minute später stand ihr Opfer in leichter Schräglage aufrecht im Raum, und es genügte ein leichter Schubs, ihn über die Kante der Falltür zu bugsieren. Auf der Suche nach Halt, zappelte der Mann mit den gefesselten Beinen, als der Schmerz unter seinen Achseln aufbrandete. Langsam ließ ihn Jenna hinab, bis er auf den Boden des drei Meter tiefen Angstlochs sank und wimmernd liegenblieb. Dann löste sie das Seil und warf es zu ihm hinunter. „So“, sagte sie, „für den Fall, dass Du mich doch verstehst, dies ist der Beginn von Level drei. Ich werde das Licht anlassen, damit Du siehst, wo Du bist“. Der Mann verstand zwar ihre Worte, nicht jedoch den Sinn. Dennoch überkam ihn ein zutiefst beunruhigendes Gefühl, als er sah, wie sich die Falltür hoch über ihm schloss. Das verstärkte sich noch, als er der nackten Wände gewahr wurde, die ihn umgaben. Sie standen sehr dicht beieinander und verbreiteten ein erschreckendes Gefühl der Enge. Und zum ersten Mal, seitdem er aus dem schwarzen Dämmerzustand erwacht war, bekam er es mit der Angst zu tun. Ein grausiges Gefühl. Besonders wenn man sich nicht bewegen konnte.
„Was ist mit Harry?“, fragte Court, als sie wieder da war, „lebt er noch?“. „Mehr oder weniger“, sagte Jenna und stellte sich mit verschränkten Armen vor das Gitter, „er ist aber anscheinend nicht ganz bei sich“. Immerhin, dachte Court. Wenn Harry das hier nicht überleben sollte, würde er seine Abmachung mit Mrs. Johannsen in die Tonne treten. Dann würde die Lady auch dahingehören, wo sie so gerne hin wollte. Da gab es kein Vertun. „Was heißt nicht ganz bei sich?“, wollte er wissen, „ist er ohnmächtig?“. „Nein“, sagte sie, „nur etwas durchgedreht. Es sieht so aus, als wenn er den Verstand verliert“. „Bringen Sie ihn um Gottes Willen bloß nicht um“, sagte Court eindringlich, „Sie laden schwere Schuld auf sich“. „Ist das so?“, fragte Jenna pikiert, „und was ist mit seiner Schuld?“. „Dafür hat er gebüßt“, versuchte Court, sie zu überzeugen, „immerhin sieben Jahre lang“. „Sieben Jahre“, sagte Jenna verächtlich, „lächerlich. Meine Eltern sind tot. Sie kommen nicht nach ein paar Jahren wieder. Und meine Freundin Mira wird nie vergessen, was er ihr angetan hat. Harry Milfort hat sie brutal vergewaltigt, als sie wehrlos vor ihm lag. Und dafür ist er nie bestraft worden. Wenn das mit angeklagt gewesen wäre, würde er im Gefängnis verschimmeln. Ich gebe ihm nur, was er verdient. Er ist ein Monster, egal was immer Sie von ihm halten mögen“. „Ich weiß, dass er das ist“, sagte Court, „und ich verstehe Ihre Motive. Aber das, was Sie hier tun, ist Selbstjustiz. Das geht gar nicht. Wenn Sie Harry umbringen, sind Sie nicht besser als er, und dann werden SIE im Gefängnis verschimmeln“. „Vielleicht will ich das ja“, sagte Jenna mit einem geheimnisvollen Glanz in den Augen, „wissen Sie, ich bin nicht wie andere Frauen. Meine Neigungen sind etwas…hm…ungewöhnlich, wenn Sie verstehen, was ich meine“. „Das habe ich schon gemerkt“, sagte Court, „aber wie passt das zusammen? Das, was sie hier tun, sieht nicht nach Masochismus aus“. „Das ist nur eine Fassade, die ich mir aufgebaut habe“, erklärte Jenna, „auch wenn ich gerne dominiere, auch wenn ich mir eine Sklavin halte, meine wahre Sehnsucht gilt der anderen Seite, so wie es auch schon bei meiner Mutter war“. „Der anderen Seite?“. „Der anderen Seite“, wiederholte Jenna, „der passiven Seite der Unterwerfung. Nur in der Hilflosigkeit der Gefangenschaft finde ich die wahre Erfüllung. Der Gedanke, dass es kein Entkommen mehr gibt, ist es, der mich in den Himmel hebt...ah…ich darf gar nicht daran denken…oh Gott“. Ungläubig sah Court die schöne Frau an. Sie meinte es ernst, daran bestand kein Zweifel. Das Gespräch hatte sie offensichtlich geil werden lassen. Er erkannte, dass sie mit ihren Gefühlen rang, und trotz dem sie sich zu beherrschen versuchte, war sie nahe daran, es sich zu besorgen. Sie hatte eine Hand in den Schritt gelegt und die andere an ihren herrlichen Busen, den sie nun hingebungsvoll streichelte. Court konnte nicht umhin, zu erkennen, dass auch ihn eine heftige Erregung ergriff. Was für eine Frau. Ihr leidvoller Kampf mit den überschäumenden Emotionen ließ ihn beinahe die Beherrschung verlieren. Er fühlte plötzlich etwas, was er noch nicht erlebt hatte. Er wollte durch die Gitterstäbe hindurch zu ihr hin, sie in den Arm nehmen, sich an ihr weiden, sie liebkosen, mit ihr den sonnenüberfluteten Gipfel besteigen, das Paradies betreten, vom Baum der Erkenntnis essen und gesättigt und erfüllt ins Gras sinken, bis der verlorene Verstand wieder Einzug halten und sie betten würde, auf dem Boden der Tatsachen. Abrupt hielt Jenna inne. „Nein“, sagte sie, und die Schweißperlen standen ihr auf der Stirn, „es ist noch nicht soweit. Ein Tag noch, nur noch ein Tag“. Nur langsam kam Court wieder zu sich. Was war da gerade passiert? Hatte er fantasiert? Hatte ihn die Gefangenschaft schon verrückt gemacht? So schnell? Oder war es einfach nur diese wunderbare Wahnsinnige, die ihn in den Taumel der Sinnlichkeit versetzte? „Sie sind ein netter Mann“, sagte die Wahnsinnige, „es ist sehr schade, dass wir uns unter diesen Umständen kennenlernen mussten. Ich hätte Ihnen gerne die wahren Freuden des Lebens gezeigt“. Ich hätte sie gerne gesehen, dachte Court. Dann war sie weg, und er war alleine in tiefer Verwirrung. Erst Minuten später bemerkte er, dass sie ein Tablett unter das Gitter geschoben hatte. Was für eine Frau, dachte er, und er sagte es auch. Immer und immer wieder: „Was für eine wunderbare Frau…“.
Die Nacht brach an, und ein denkwürdiger Tag fand sein Ende. Ein noch viel denkwürdigerer sollte folgen. Er begann morgens um sieben.
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