Mandith
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Schreiben heißt Bleiben
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« am: Juni 01, 2012, 12:58:18 pm » |
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Jennas Weg Epilog
„Hey, Hombre! Aufwachen. Alles okay?“. Vorsichtig rüttelte Enrique Rodriguez den Mann an der Schulter. Schon wieder so ein verrückter Gringo. Typisch für diesen Teil der Grenze. Hier blühte der illegale Drogen-und Prostitutionstourismus. Ständig gab es Ärger. Enrique konnte sich noch gut an seine Kindheit erinnern. Damals war seine Heimatstadt noch ein beschaulicher Ort gewesen, in dem ein reger Handel mit den amerikanischen Nachbarstädten stattgefunden hatte. Legaler Handel mit Dingen des täglichen Gebrauchs. Doch seitdem Drogenkartelle und Menschenhändler diesen ansonsten so schönen Flecken Erde für sich und ihre illegalen Machenschaften entdeckt hatten, war es mit dem Ort bergab gegangen. Viele seiner alten Freunde und Bekannten hatten schon vor Jahren die Flucht ergriffen und waren weggezogen. Auch Enrique hatte daran gedacht, sich aus dem Staub zu machen, doch er war viel zu heimatverbunden, als dass er das auch umgesetzt hätte. Stattdessen hatte er es sich zur Lebensaufgabe gemacht, das illegale Treiben zu bekämpfen, soweit es eben möglich war. Und nirgends konnte er das besser als bei der Grenzpolizei. Sein Eifer hatte sich bald ausgezahlt, und Enrique war schnell aufgestiegen. Heute war er der Chef einer sehr effektiv arbeitenden Truppe von Grenzpolizisten, was ihm eine Menge Ehre, aber auch eine noch größere Menge Feinde eingebracht hatte. Man hatte schon einige Anschläge auf ihn verübt, die er bis jetzt alle überlebt hatte. Allerdings quälte ihn ein ständiger Schmerz in seinem rechten Oberschenkel, seitdem er einen Steckschuss davongetragen hatte. Das wirkte sich nachhaltig auf seinen Gemütszustand aus. Er war ewig schlechtgelaunt, und so mancher seiner Leute würde sich freuen, wenn er endlich in den Ruhestand gehen würde. Doch den Gefallen tat Enrique ihnen nicht. Er dachte gar nicht daran, den Dienst zu quittieren. Im Gegenteil. Er ging inzwischen noch rigoroser gegen das Verbrechen vor und nahm seine Leute dabei noch härter ran als er es ohnehin schon immer getan hatte. Der Erfolg gab ihm Recht. Unzählige Banditen saßen auf Grund seiner Unbestechlichkeit hinter Gittern oder betrachteten das Gras von unten. Selbst einigen korrupten Kollegen hatte er das Handwerk gelegt, was deren Familien nicht besonders witzig fanden. Doch das war Enrique egal. Er hatte ein ausgesprochen standhaftes Rechtsbewusstsein, das durch nichts zu erschüttern war. Wenn ihn jemand bestechen wollte, fand sich derjenige schneller im Knast wieder als er bis drei zählen konnte. Genau deshalb war es in den letzten Jahren etwas ruhiger geworden, und die organisierte Kriminalität war teilweise auf benachbarte Bezirke ausgewichen. Eine Tatsache, die Enrique außerordentlich befriedigte. Dennoch war natürlich noch längst nicht alles wieder beim Alten, und das würde es wohl auch nicht wieder werden. Diese elenden Gangsterbanden hatten ja mehr Nachwuchs als die Familien in den Slums der großen Städte. Und das beste Beispiel für die anhaltende Scheiße war dieser verfluchte Gringo, der seinen Ami-Schlitten zielgenau in den Graben gesteuert hatte. Kein Wunder. Der ganze Wagen stank nach Alkohol, und über die Klamotten des Mannes verteilte sich feiner weißer Staub, den Enrique mit fachmännischer Kenntnis als Kokain identifizierte. Anscheinend war der Bursche im Vollrausch in den Graben gejagt. Sofort erkennbare Verletzungen hatte er nicht, wenn man mal von einer kleinen Schramme an der Stirn absah. „Hey, Hombre, aufwachen“, versuchte es Enrique erneut, „komm her, Pablo. Hilf mir, den Idioten aus dem Wagen zu ziehen, und Du, Chico, überprüf das Kennzeichen, und frag auch bei unseren amerikanischen Kollegen nach“. „Alles klar, Chef“, antwortete der Letztgenannte und griff sich das Funktelefon des Dienstfahrzeuges, während Pablo gemächlich zu seinem Chef schlenderte. Er hatte es nicht eilig. Sollte dieser Scheißgringo doch verrecken. Es saßen schon genug von der Sorte in den hiesigen Gefängnissen und ließen sich auf Staatskosten durchfüttern. So ähnlich dachte auch Enrique, und darum gingen die beiden Männer auch nicht sonderlich zimperlich mit dem Mann um. Im Handumdrehen hatten sie ihn aus dem Wagen gezogen, und nun lag er im Gras neben der Straße und blinzelte, langsam erwachend, in das grellrote Licht der Morgensonne.
Scheiße, dachte Harry Milfort, was war nun schon wieder passiert? Ihm brummte gehörig der Schädel. Dabei war es ihm in den letzten zwei Wochen doch eigentlich prima gegangen. Jedenfalls besser als die letzten Tage in der Gewalt dieser verfluchten Schlampe, die sich immer als Göttin bezeichnet hatte. Man hatte ihn in irgend so einen Bunker geschleppt und Anfangs auch dafür gesorgt, dass er sich anständig erholen konnte. Er hatte sich richtig ausschlafen können, gutes Essen gekriegt, und sogar eine Krankenschwester hatte regelmäßig nach ihm gesehen. Nach ein paar Tagen war´s ihm wieder richtig gutgegangen, nur rausgehen hatte er nicht können. Der Raum, in dem er untergebracht gewesen war, hatte nicht einmal Fenster gehabt, und ständig waren zwei riesige Kerle anwesend gewesen, die auf ihn aufgepasst hatten. Irgendwann hatte Harry gemerkt, dass der Inhalt der Spritze, die er regelmäßig von der Krankenschwester verpasst bekam, eine seltsame Wirkung entfaltete, und bald war ihm bewusst geworden, dass die Dame womöglich gar keine echte Krankenschwester war. Die Wirkung der Medikamente war durchaus angenehm gewesen, und Harry hatte schnell bemerkt, dass man ihn unter Drogen gesetzt hatte. In den letzten Tagen hatte man ihm auch Whiskey gebracht, und die beiden Hünen hatten ihm geraten, ihn auch zu trinken. Das hatte Harry auch anstandslos getan, und es hatte nicht lange gedauert, bis er in einen ständigen Dämmerzustand gefallen war. Vom letzten Tag hatte er schon gar nichts mehr mitbekommen, und nun lag er hier irgendwo rum und blinzelte in eine sengende Sonne. Sonne! Endlich! Wie lange hatte er die nun schon nicht mehr gesehen? Vielleicht würde ja endlich wieder Normalität in sein Leben einziehen. Mit der Annahme lag er gar nicht so falsch, nur war es fraglich, ob die Normalität, die ihn erwartete, auch die war, die er sich vorstellte.
Die Normalität, die in den letzten zwei Wochen in Jennas Leben eingezogen war, hatte sich auch als anders entpuppt, als sie es sich gewünscht hatte. Waren die ersten Tage noch geprägt von dem erregenden Gefühl des Gefangenseins und der Hilflosigkeit gewesen, so war inzwischen eine unendliche Eintönigkeit an die Stelle der Aufregung getreten. Hätte Anna nicht für einen regelmäßigen Tagesablauf gesorgt, Jenna hätte nicht einmal gewusst, wie viel Zeit inzwischen vergangen war. Eine Uhr hatte man ihr nicht gelassen, und ihre Sklavin war auch nicht bereit gewesen, die Anordnungen Mr. Jesters zu unterlaufen. Zu viel Angst hatte sie davor, dass man ihre geliebte Herrin doch noch abholen könnte. Und so blieb den beiden nichts anderes übrig als ihr Schicksal anzunehmen und das Beste daraus zu machen. Jenna hatte schnell erkannt, wie lang die Tage werden konnten, wenn man dauerhaft eingesperrt war, und eine gewisse Verzweiflung hatte von ihr Besitz ergriffen. Und das schon jetzt, nach lächerlichen zwei Wochen! Ein ganzes Jahr stand ihr bevor, und es hatte gerade erst begonnen. Was für eine grausame und gleichzeitig erregende Vorstellung! Und genau das machte es etwas leichter. Wenn sie glaubte, es nicht mehr ertragen zu können, kam die Erregung zurück und verhalf ihr zu ein paar Minuten des Glücks, bevor sie die Eintönigkeit ihres Käfigs wieder einholte. Ein Jahr! Ein lächerliches Jahr! Läppische dreihundertfünfundsechzig Tage! Ein Wimpernschlag im Lauf der Zeit. Eine Ewigkeit in einer kargen Zelle, ohne Ablenkung, ohne Aufgabe, ohne intime Umarmung ihrer geliebten Sklavin. Auch das hatte Court Jester verboten. Jenna sollte lernen, was es bedeutete, im Gefängnis zu sein. Und Anna war ein gehorsames Mädchen. Das hatte sie von ihrer Herrin gelernt, auch wenn ihr Gehorsam momentan jemand anderem galt. Mr. Court Jester, dem weisesten Mann, den Anna jemals kennengelernt hatte.
Für Harry wäre ein Jahr sicher absolut annehmbar gewesen, doch die Dinge liefen ganz und gar nicht nach seiner Mütze. „Der Wagen ist als gestohlen gemeldet“, hörte er eine fremde Stimme sagen. „Sieh mal, was er in seinem Handschuhfach hat“, eine andere. „Das ist mindestens ein Pfund Koks“, sagte eine dritte. Harry schlug die Augen auf und sah in das zerfurchte Gesicht mit dem Oberlippenbart und der Sonnenbrille. „Willkommen in Mexico“, sagte Enrique Rodriguez, „Sie haben uns hier noch gefehlt“.
Ende
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