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Autor Thema: Jennas Weg, Teil 30  (Gelesen 4413 mal)
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Mandith
Writer und Poster
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Geschlecht: Männlich
Beiträge: 37


Schreiben heißt Bleiben

petersmano
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« am: Juni 01, 2012, 12:51:25 pm »

Hier noch einmal aufzutauchen, dachte Court, als er vom Hof fuhr. Noch einmal! Die Leute verbargen etwas, dessen war er sich sicher. Noch einmal hier aufzutauchen…  War Harry womöglich doch schon hier gewesen? Und warum war die Dame so aus der Haut gefahren, als das Gespräch um Miss Carson gegangen war? Hm…da musste mehr dahinterstecken. Das spürte er. Vielleicht sollte er Miss Carson doch mal einen Besuch abstatten. Aber vorher wollte Court etwas mehr über die ganze Angelegenheit wissen. Zum Beispiel über den Unfall damals…und über den Prozess…Die Geschichte begann, ihn zu fesseln. Court war ein Terrier. Wenn er sich erst einmal festgebissen hatte…

Das Frühstück war das Letzte, was Harry zu essen bekommen hatte, und das war nun schon verdammt lange her gewesen. Seine Kerkermeisterin hatte sich ewig nicht mehr sehenlassen. Das war einerseits gut, weil sie ihn dann nicht quälen konnte, andererseits bedeutete das aber auch eine endlose Einsamkeit ohne die geringste Abwechslung. Und wenn er ehrlich war, vermisste er ihre Gesellschaft. Außerdem sehnte er sich nach ihren Berührungen. Naja…nicht nach allen. Aber nach den ganz besonderen.
Harry war schon wieder scharf wie ein Rasiermesser. Kein Wunder, es war ja auch schon wieder einige Zeit vergangen, seit sie ihn „gewaschen“ hatte, und sein kleiner Mr. Milfort war seitdem wieder sicher unter Verschluss. Irgendwie hatte die Dame es drauf. So viel Angst Harry vor den kommenden „Behandlungen“ hatte, so dringend benötigte er auch die Befriedigung seiner ständig wachsenden Lust. Und so war er allmählich in den Zwiespalt geraten, den sie offensichtlich beabsichtigte. Angst und Lust. Eine irre Mischung, die Harry an den Rand der Verzweiflung brachte. Er wusste genau, dass das Eine nur in Verbindung mit dem Anderen zu haben war. Wenn es doch nur endlich losgehen würde. Was auch immer die Lady für ihn vorgesehen hatte. Je schneller es passierte, umso schneller war es geschafft. Was sind schon ein paar Minuten Schmerzen gegen das unbeschreibliche Gefühl, das sie in der Lage war, in ihm zu erwecken. Pah, dachte er, ich bin doch kein Weichei. Das halte ich schon irgendwie aus.
Doch da irrte sich Harry gewaltig. Mit ein paar Minuten Schmerzen würde es diesmal nicht getan sein.
Doch das ahnte er nicht, als Mistress Divine endlich zu ihm herunter kam.
„Bist Du bereit für Level zwei?“, fragte sie mit ihrer süßesten Stimme.
„Nein, Herrin“, sagte Harry, „aber das zählt hier wohl nicht“.
„Da hast Du ausnahmsweise einmal Recht“, lächelte die Göttin, „dann wollen wir mal anfangen. Du solltest besser ganz genau das tun, was ich Dir sage. Dann wird es ein unvergessliches Erlebnis für Dich. Und dieses Mal tut es auch gar nicht weh. Jedenfalls nicht gleich“.

Oha, dachte Harry, wenn sie so redet…
„Komm ans Gitter und dreh Dich um“, sagte sie, „ich muss Dich fesseln, bevor ich zu Dir komme“.
Schon ihre Worte genügten, um ihn in heftige Aufregung zu versetzen. Jenna blieb das nicht verborgen. „Hände auf den Rücken“, befahl sie, und Harry zitterte schon am ganzen Körper, als sie seine Handfesseln zusammenschloss.
„Braves Mädchen“, sagte sie zufrieden, „Füße zusammen“.
Braves Mädchen? Sie ist verrückt, dachte Harry, kein Zweifel. Dennoch stellte er artig die Füße dicht nebeneinander. Wenige Sekunden später hörte er das Klicken des Schlosses, und seltsamerweise ließ es ihn vor Erregung laut aufstöhnen. Nicht zu fassen, dachte er, ich muss genauso verrückt sein.
„Hüpf zu dem Ring an der Wand“, befahl Mistress Divine, „und setz Dich auf den Boden“.
Mühsam kam Harry dem Befehl nach. Was tue ich hier? fragte er sich, als er sich umständlich an der Wand hinabgleiten ließ. Was hatte sie mit ihm vor? Er konnte sich nur schwer vorstellen, dass es diesmal schmerzfrei ausgehen würde. Doch bevor er es sich anders überlegen konnte, saß er auch schon.
„Ich warne Dich nur einmal“, sagte die Göttin, „solltest Du auch nur das kleinste Anzeichen von Gegenwehr zeigen, wenn ich zu Dir komme, wirst Du es bitter bereuen. Ist das klar?“.
„Ja, Herrin“, sagte Harry, und es war ihm ernst damit. Er hatte keinerlei Zweifel an ihren Worten. Soweit kannte er seine Kerkermeisterin inzwischen.
„Gut“, sagte sie und schloss die Tür auf. Gemächlichen Schrittes kam sie auf ihn zu. Ängstlich blickte er auf die Tasche, die sie neben ihn stellte, bevor sie sich zu ihm hinabbeugte.
„Was…was haben Sie da?“, fragte Harry, vor Aufregung zitternd.
„Alles, was nötig ist, um Dich für eine Weile ruhigzustellen“, sagte Mistress Divine mit entwaffnendem Lächeln und holte eine sehr kurze, aber starke Kette und zwei Schlösser aus der Tasche.
Oh Gott, dachte Harry, sie will mich anketten, und da passierte es auch schon. Mit flinken Fingern schloss sie seinen Halsreifen an den Ring in der Wand. Nur wenige Zentimeter blieben zwischen Wand und Hals. Ein aufgeregtes Stöhnen entfuhr ihm, als er die Enge des Anschlusses erkannte.
„Ganz ruhig“, sagte die Göttin, „wir fangen gerade erst an. Weißt Du, was das ist?“. Sie hielt ihm die Rolle mit dem Klebeband vors Gesicht. Harry nickte stumm.
„Du glaubst nicht, was man damit alles anfangen kann“, fuhr sie fort, „heute wird es gleich doppelt zur Anwendung kommen. Zunächst an Deinen Oberschenkeln“. Mit diesen Worten begann sie, Harrys Beine kurz über den Knien mit mehreren Lagen zu umwickeln, bis sie eng und unbeweglich aneinandergefesselt waren. Spätestens jetzt wurde dem Gefangenen bewusst, dass es für ihn auch ohne direkte Schmerzen kein Zuckerschlecken werden würde. Er konnte sich kaum noch rühren.
„Jetzt sind wir schon ein gutes Stück weiter“, sagte Mistress Divine und kramte wieder in der Tasche, „ich werde Dich auf eine wunderbare Reise schicken. Mund auf“.
„Oh, bitte, Mistress…nicht das…ich…“. Harry wurde ganz anders. Er wusste, was jetzt kam.
„Mund auf, habe ich gesagt“, zischte sie und griff ihm zwischen die Beine, „oder…“.
„Schon gut, schon gut“, ächzte er und öffnete schnell den Mund, um einem ungemütlichen Griff in die Weichteile zu entgehen. Rasch füllte sich seine Mundhöhle mit einem ziemlich großen Ballen Stoff.
„Nicht ausspucken“, warnte ihn die Göttin, „das ist ein ganz besonders edles Teil. Ein traumhaftes Höschen, das ich extra für diesen Zweck zwei Tage für Dich getragen habe. Du bist wirklich zu beneiden. Ich bin viel zu gut zu Dir“.
Zu Gut? Verrückt bist Du, dachte Harry und musste sich schwer zusammenreißen, um einen aufkommenden Würgereiz zu unterdrücken.
„Siehst Du?“, sagte sie lächelnd und hielt ihm erneut die Rolle vors Gesicht, „und nun kommt der zweite Teil des Tapes zur Anwendung. Es ist ja so vielseitig, eine wunderbare Erfindung“.
„Hmpf…hmpf“, ließ Harry verlauten, als Mistress Divine das Klebeband über seinen Mund legte und es gnadenlos stramm um seinen Kopf herumwickelte. Einmal, zweimal, dreimal…immer noch eine Lage, bis eine dicke Schicht den gesamten unteren Bereich seines Kopfes bedeckte. Unmöglich, den Knebel auszuspucken. Harry drohte in Panik zu verfallen. Mit aufgerissenen Augen brüllte er in den Klumpen, der Mund und Rachen erbarmungslos versiegelte.
Sie bringt mich um, sie bringt mich um, ging es ihm durch den Kopf, und er versuchte wild mit den gefesselten Beinen zu rudern, auf denen seine Herrin inzwischen saß.
„Ruhig, mein Freund“, sagte sie milde und nahm seinen Kopf zärtlich in beide Hände, „bleib ganz ruhig, die Reise hat gerade erst begonnen. Lass Dich fallen und entspann Dich, dann wirst Du sie auch überstehen“.
Nein, dachte Harry, nein, nein, nein. Niemals würde er das überstehen. Warum konnte sie ihn nicht einfach wieder kratzen, kneifen, schlagen, ihm Schmerzen zufügen?
Ungerührt sprach sie weiter.
„Hör gut zu“, sagte sie mit sanfter Stimme, denn gleich wirst Du mich nicht mehr hören können…“.
Oh Gott, nein…
„…und sieh mich an. Präge Dir meinen  wunderbaren Anblick ein…“.
…um Himmels Willen…!
„…es ist das Letzte, was Du siehst…“.
…ich werde sterben…
„…bevor ich Dich auf die Reise schicke…“.
…lieber Gott…
„…eine vierundzwanzigstündige Reise…“. Mistress Divine zeigte Harry die Ohrstöpsel.
…wenn es Dich gibt…
„…in Dein innerstes Ich“. Sie stopfte Harry die Stöpsel in die Ohren. Um ihn herum wurde es leise.
…dann rette mich…!!!
Die Göttin ergriff wieder die Rolle und wickelte weiter. Lage um Lage legte sich nun über Harrys Augen und Ohren. Es war nicht mehr leise, es war still. Total still. Nur das Pulsieren seines eigenen Blutes drang in Harrys Bewusstsein. Vereinzelte Sterne tanzten in der Schwärze vor seinen Augen.
Sie hatte ihn abgeschaltet!
Das Letzte, was er spürte, bevor endgültig nichts mehr passierte, war, dass ihm etwas über den Kopf gestülpt und am Hals verschlossen wurde.

Ein paar Minuten blieb Jenna noch vor ihrem Opfer stehen und betrachtete ihr Werk voller Genugtuung. Sie wusste, was ihm bevorstand. Eine Reise des Grauens, an der Schwelle zum Tod. Keine halbe Stunde Genuss und dann die Erlösung. Harry Milfort war hier nicht in der gelben Villa.
Er war in der Hölle!
Wenn er das unbeschadet überstehen wollte, musste er schon sehr stark sein. Nützen würde ihm das freilich nichts. Denn gleich im Anschluss hatte Jenna Level drei geplant. Ohne Pause.
„Und wenn Du das hinter Dir hast“, sagte sie, ohne gehört zu werden, „dann wirst Du frei sein“.
Zufrieden schloss sie die Zellentür und begab sich nach oben. Sie hatte noch ein Telefonat zu führen. Annas Zukunft musste gesichert werden.

Na, sieh mal an, dachte Court Jester, das sind ja hochinteressante Verwicklungen. Er hatte sich richtig Mühe gegeben und alle seine Verbindungen und Beziehungen für seine Recherchen genutzt. Sogar mit der Staatsanwältin hatte er telefoniert. Er ließ noch einmal alles Revue passieren, was er herausbekommen hatte:
Da waren zunächst die Carsons, Harry Milforts Opfer und Jenna Carsons Eltern. Dann die Johannsen von der Farm. Das war doch tatsächlich die Schwester der verstorbenen Mrs. Carson, also Miss Carsons Tante. Hochinteressant! Bei ihr lebte Mr. Weller, angeblich Harrys unehelicher Sohn. Dessen Mutter wiederum, eine gewisse Miranda Louise Weller, bewohnte eine alte Villa bei Haven, die der jungen Miss Carson gehörte. Das musste demnach Harry Milforts Vergewaltigungsopfer sein.
Allerhand Leute, die Rachegelüste an Harry haben könnten. Und alle miteinander verbandelt. Das war ja purer Stoff für einen Krimi.
Und dass ausgerechnet die Tochter, die damals den größten Verlust erlitten hatte, nicht die Rolle der Nebenklägerin in dem Prozess eingenommen hatte, war mehr als ungewöhnlich. Court hätte das noch mit ihrem damals recht jugendlichen Alter abgetan, doch Elizabeth Grant, die Staatsanwältin, hatte gemeint, dass die junge Frau sehr genau gewusst hatte, was sie tat. Sie hatte offensichtlich kein Interesse daran gehabt, Harry für lange Zeit wegzusperren. Darauf konnte sich Court absolut keinen Reim machen. Aber Eines stand für ihn fest: Wenn irgendjemand wusste, wo der gute Mr. Milfort abgeblieben war, dann war er in dieser Mischpoke zu finden. Das waren ein bisschen zu viele Zufälle, nach Courts Geschmack. Und da war immer noch Harrys Aussage gegenüber Phil Becker, aufs Land fahren zu wollen, um seinen Sohn zu besuchen.
Wie sollte es jetzt also weitergehen? Auf der Farm hatte er keinen Erfolg gehabt. Mrs. Weller wäre sicher eine Alternative, und Miss Carson natürlich. Die hatte Court zwar neulich auch die kalte Schulter gezeigt, doch das hatte möglicherweise auch an seinem angetrunkenen Zustand gelegen.
Vielleicht war sie ja etwas gesprächiger, wenn er ganz offiziell bei ihr auftauchen würde. Aber das wollte sich Court bis ganz zuletzt aufbewahren. Für den Fall, dass er gar nicht weiter kam. Als Nächstes wollte er mal nach Haven fahren. Da saß ja immerhin die vergewaltigte Mutter von Harry Milforts mutmaßlichem Sohn.
Court fragte sich, ob er die Polizei einschalten sollte, doch er entschied, dass das zu diesem Zeitpunkt wohl etwas gewagt wäre. Noch hatte er ja nicht mehr als bloße Vermutungen, und auf sein Bauchgefühl würden die Beamten der Newport City Police wohl kaum etwas geben. Er brauchte einen handfesten Hinweis, ehe er sich an sie wenden konnte. Und er war fest entschlossen, einen solchen zu finden.
Was nicht ganz ungefährlich war. Eine gewisse Miss Meyers hätte ein Lied davon singen können…wenn sie denn noch am Leben wäre.

Am Leben war Harry noch. Allerdings wünschte er sich gerade, er wäre tot. Dahin war sein Selbstbewusstsein, sein Wille, ja sogar sein ihm eigener Sarkasmus. Er war nur noch ein jammerndes Häuflein Elend. Nie zuvor hatte er eine solch fürchterliche Angst gehabt. Ständig musste er gegen die aufkommende Panik ankämpfen, und immer, wenn er sich etwas beruhigt hatte, kamen sie wieder, die dunklen Gedanken, und brannten sich in sein Hirn. Er wusste genau, dass er nicht in Panik geraten durfte, wenn er das hier überleben wollte, doch die Angst ließ ihn nicht los. Er konnte nichts sehen, nichts hören, sich nicht bewegen, und er bekam nur schlecht Luft.
Vor geraumer Zeit hatten auch die Schmerzen eingesetzt, die sich von Stunde zu Stunde verschärften.
Das ist das Ende, dachte Harry immer wieder. Und genau diese Gedanken ließen ihn zwischendurch etwas Ruhe finden. Immer wenn er sich aufgeben wollte, verfiel er in eine gnädige Lethargie. Und eben gerade die wäre der Schlüssel zum Überleben gewesen, doch dann erwachte stets wieder sein Lebenswille und mit ihm die Todesangst.
Harry hatte erkannt, dass es weitaus Schlimmeres gab als rohe Gewalt. Er befand sich auf einem Horror-Trip, wie ihn kein Film darstellen konnte. Er war gefangen in sich selbst, aller äußeren Sinne beraubt, hungrig, durstig, voller Schmerzen und bar jeglichen Zeitgefühls. Mehr tot als lebendig.

Irgendwann hatte Harry das Gefühl, als würde er losgeschlossen und davongeschleppt. Er schien zu halluzinieren, zu fantasieren. Dann war es auch schon wieder vorbei, und alles war wie vorher.

Arnold hatte sich erneut bei Christine abgemeldet und war bereits mittags nachhause gefahren.
Der Abend mit Mistress Jenna hatte Annas Angst verstärkt, dass einschneidende Veränderungen anstanden. Unendlich lieb war die Herrin zu ihr gewesen. Mit nie dagewesener Zärtlichkeit hatte sie sich um Anna gekümmert und die hatte es genossen, als wäre es das letzte Mal. Nach langer Zeit war Anna wieder richtig glücklich gewesen, doch dann hatte die Herrin geweint, und es hatte sich alles geändert.
„Es tut mir Leid“, hatte Jenna immer wieder gemurmelt, als sie sich geliebt hatten, „ich liebe Dich so sehr. Bitte verzeih mir“.
Dann war sie eingeschlafen und hatte Anna nicht zurück in ihre Kammer gebracht…
Aus dieser trat sie nun heraus und machte sich auf den Weg in den Keller. Was immer dort unten inzwischen geschehen war, Anna musste wissen, wie es um den Gefangenen stand. Es hatte ihr die ganze Nacht und den gesamten Vormittag keine Ruhe gelassen.
Vorsichtig stieg sie die steilen Stufen hinab und öffnete die Stahltür.
Was sie sah, ließ Annas sämtliche Befürchtungen wahr werden.
Der Gefangene saß nicht mehr in seiner Zelle. Er saß in Zelle zwei! Der Zelle, die zu dem kahlen Raum hinter der rechten Wand führte. Er war hoffnungslos gefesselt, über dem Kopf trug er eine dunkle Haube.
Oh Gott, dachte Anna, hier spielt sich ein Drama ab. Leise schlich sie zu ihm hin. Unverständliche Laute drangen an ihr Ohr. Er lebte. Immerhin. Hatte sie doch überreagiert? Sie wusste, dass solche Spielchen in der Villa an der Tagesordnung waren, aber da war immer jemand dabei. Der Mann hier war ganz alleine. Über Stunden. Oder sogar über Tage? Er musste unendliche Qualen leiden. Möglicherweise war er schon gar nicht mehr bei Verstand.
Bei aller Liebe. Das ging zu weit. Schnell ging Anna wieder nach oben. Sie musste unbedingt telefonieren. Sie brauchte dringend den Rat einer dritten Person. Fieberhaft überlegte sie, wer in Frage käme. Jennas Mutter? Joe? Mira? Oder jemand ganz anderer? Nein, kein Außenstehender.
Anna entschied sich für Lucy. Schnellen Schrittes eilte sie durchs Foyer.
Da klingelte es an der Tür.


Kapitel 12
Endspurt

Das war wohl nichts. Mrs. Weller war nicht zu erreichen gewesen. „Betriebsferien“ hatte am geschlossenen Tor zur Villa gestanden, und auch auf die Betätigung der Gegensprechanlage hatte niemand reagiert. „Dringende Bedürfnisse werden unter der Nummer…blah, blah…“.
Dringende Bedürfnisse? Betriebsferien? Damit hatte Court nichts anfangen können. Anscheinend gab es in der Villa eine Art Dienstleistungsunternehmen. Vielleicht eine Wellnessoase oder so was in der Art. Jedenfalls war er dort in eine Sackgasse geraten. Eine Telefonnummer hatte er nicht gehabt, nicht einmal einen Eintrag in den Telefonbüchern hatte er gefunden. Wie hätte er auch wissen sollen, dass er unter Shadowland hätte suchen müssen?
Enttäuscht hatte er den Heimweg antreten müssen, doch da der Tag noch jung gewesen war, hatte er sich entschlossen, einen Abstecher zum grauen Wald zu machen, wo Miss Carson ihr Haus hatte. Auch von ihr hatte er keine Privatnummer finden können, nur die ihres Immobilienbüros.
Anrufen hatte Court da aber nicht wollen. Nach der Begegnung im Restaurant neulich, wollte er der Dame lieber persönlich gegenübertreten, und so stand er nun eben vor ihrer Haustür und betätigte die Klingel. Da ein Wagen auf dem Hof stand, nahm er an, dass auch jemand da sein musste, und tatsächlich vernahm er nach wenigen Sekunden Schritte.

Verdammt, dachte Anna, noch ganz durcheinander, wer klingelte denn um diese Zeit an der Tür? Von ihren und Jennas Bekannten konnte das niemand sein. Die wussten, dass hier zu dieser Zeit niemand zuhause war. Es musste ein Fremder sein. Wäre sie nicht immer noch geschockt über das eben Gesehene gewesen, hätte sie den Besucher wohl ignoriert, doch nun ging sie, wie fremdgesteuert, zur Tür und sah durch den Spion. Anna kannte den Mann nicht, der da vor der Tür stand, hatte aber den Eindruck, ihn schon einmal gesehen zu haben.
„Was wollen Sie?“, rief sie durch die geschlossene Tür.
„Hallo“, rief Court zurück, „ich würde gerne Miss Carson sprechen“.
„Die ist nicht da“, antwortete Anna und verfluchte sich dafür, dass sie auf den Besucher reagiert hatte. Wenn Mistress Jenna erfahren würde, dass sie am frühen Nachmittag zuhause gewesen war, würde es Fragen geben.
„Vielleicht können Sie mir helfen“, bat Court, „es ist sehr wichtig“.
Anna schaute erneut durch den Spion. Jetzt glaubte sie, ihn zu erkennen. War der Mann nicht neulich unter den johlenden Typen im Restaurant gewesen? Doch, ganz sicher. Das war der Kerl, der die Herrin angesprochen hatte. Was konnte der wollen? Anna wurde neugierig und öffnete die Tür einen Spalt breit.
„Worum geht es denn?“, fragte sie.
Sieh an, dachte Court, Miss Carsons hübsche Begleitung vom Freitag.
„Mein Name ist Jester“, stellte sich Court vor, den Vornamen ließ er sicherheitshalber weg, „ich bin Sozialarbeiter, und suche nach einem meiner Klienten“.
„Hier bei uns?“, wunderte sich Anna, „wie kommen Sie denn darauf?“.
„es handelt sich um Mr. Harry Milfort“, sagte Court, „er ist verschwunden“.
Anna stockte der Atem. Unwillkürlich öffnete sie die Tür ein Stück weiter.
„Mr. Milfort?“, fragte sie mit hochrotem Kopf, „was…wie…wieso kommen Sie dann ausgerechnet hierher?“.
„Weil ich nicht mehr weiter weiß“, sagte Court, „darf ich reinkommen?“.
„Nein“, sagte Anna entschieden, „ich bekomme Ärger, wenn ich hier jemanden hereinlasse, während die Herrin…äh…des Hauses nicht da ist“.
„Schade“, sagte Court, „wissen Sie, ich war schon bei allen Leuten, die Mr. Milfort kennen. Sie sind meine letzte Hoffnung. Wann wird denn Miss Carson anzutreffen sein?“.
„Nicht vor 18.00 Uhr“, sagte Anna, „aber ich glaube nicht, dass sie Ihnen helfen w…kann“.
Die Frau ist nervös, dachte Court, sehr nervös. Instinktiv glaubte er, hier richtig zu sein.  Sie wusste etwas, das war sonnenklar. Er hakte gleich mal nach.
„Haben Sie Mr. Milfort in letzter Zeit vielleicht einmal gesehen?“.
„Ich?“. Anna blieb fast das Herz stehen. „Wie…wieso sollte ich ihn gesehen haben? Ich…ich kenne ihn ja gar nicht“.
„Sind Sie sicher?“. Court ließ nicht locker. Er war jetzt endgültig überzeugt, auf der richtigen Spur zu sein.
„Natürlich“, sagte Anna. Sie fühlte sich in die Enge getrieben. Wenn der Mann doch endlich abhauen würde. Nervös sah sie auf die Uhr. Zum Glück war es noch früh. Die Herrin würde erst in ein paar Stunden nachhause kommen. Ein paar Stunden, die bei dem Gefangenen über Leben oder Tod entscheiden könnten. Einen Moment lang war Anna versucht, sich dem unerwarteten Besucher zu offenbaren, doch die Angst vor den Konsequenzen hielt sie zurück. Sie würde eine Katastrophe auslösen, wenn sie dem Mann die Wahrheit sagen würde. Aber sagen würde Anna sie müssen. Ihrer Herrin! Sie wusste nun glasklar, mit wem sie über die Sache reden musste. Nicht mit Lucy, nicht mit Joe oder Mira. Mit Mistress Jenna musste sie darüber reden, auch wenn sie dadurch ihren Verrat  eingestehen musste.
„Bitte gehen Sie jetzt“, sagte sie zu Court, „ich kann Ihnen nicht helfen. Ich kenne Mr. Milfort nicht“.
„Wie Sie wollen“, sagte Court, „aber ich werde wiederkommen, wenn Ihre Freundin zuhause ist. Richten Sie ihr bitte meine Grüße aus. Auf Wiedersehen“.
„Das werde ich“, sagte Anna und schloss die Tür. An Händen und Füßen zitternd stand sie mit dem Rücken an der Tür und sandte ein Stoßgebet gen Himmel.
Oh Gott, hilf uns, dachte sie, lass alles wieder so werden wie früher.

Das war ein frommer Wunsch, der nicht mehr erfüllt werden konnte. Zu weit waren die Dinge fortgeschritten. Besonders bei Harry Milfort, der in einer Art Starre vor sich hin dämmerte. Den letzten Panikanfall hatte er nicht mehr kontrollieren können, und nur seiner im Knast antrainierten Fitness hatte er es zu verdanken, dass sein Herz nicht explodiert war. Was jedoch in seinem Hirn passiert war, ließ sich nur erahnen. Jedenfalls hatte es auf Sparflamme geschaltet und Harry in eine gnädige Ohnmacht gestürzt. Er trieb in einem emotionslosen Universum, jenseits aller Empfindungen. Kopf und Körper auf Standby.

Auf Standby stand auch Court Jester. Er war in seinen Wagen gestiegen und hatte ein Stück die Straße hinauf geparkt. Mit Argusaugen beobachtete er das dunkle Gebäude am grauen Wald, und lange musste er nicht warten, da verließ die nervöse Frau in offensichtlicher Eile das Haus und fuhr in Richtung Stadt.
Das war seine Chance. Court wartete noch eine halbe Stunde. Als er sicher war, dass sie nicht gleich wiederkam, stieg er aus und ging den Weg zurück, wobei er sich bewegte wie ein zufälliger Wanderer. Vor dem Haus versicherte er sich, dass ihn niemand beobachtete und trat in den Hof.
Die Tür war natürlich verschlossen. Court ging um das Haus herum, um irgendeine Schwachstelle zu finden. Eine Hintertür gab es zwar, doch auch die war verschlossen. Nicht aber das Fenster zur Waschküche. Das stand auf Kipp. Sofort steuerte Court es an, und es kostete ihn nur wenige Minuten, bis er es geöffnet hatte. Was für ein Glück, dass ich so talentierte Bekannte habe, dachte er, und dass die so gerne mit ihren Fähigkeiten prahlen.
Geschmeidig wie eine Katze schwang er sich in die Waschküche, in der es ziemlich dunkel war. Der Damm der Umgehung verhinderte einen vernünftigen Lichteinfall. Court musste sich einen Moment orientieren, dann schlüpfte er durch die Tür ins Innere des Heiligtums und stand bald darauf im Foyer. Was nun? Wo sollte er suchen? Und was eigentlich? Harry Milfort? Unwahrscheinlich. Er musste ganz schön bescheuert sein, hier einfach einzusteigen. Das nannte man ja wohl Einbruch, mindestens aber Hausfriedensbruch. Nicht zu verachten, wenn man an seinem Job hing. Und den könnte er sich wohl abschminken, sollte man ihn hier erwischen.
Egal, nun war er einmal hier, da musste er jetzt durch. Hoffentlich kam die Kleine nicht so schnell wieder zurück. Mit der Lady des Hauses war ja so schnell nicht zu rechnen, wenn Court richtig verstanden hatte. Außerdem wollte er sich ja auch nur mal kurz umsehen. Und das tat er auch.
Eine Treppe führte nach oben, eine nach unten. Seine Logik sagte ihm, dass es eher wahrscheinlich war, Hinweise auf eine vermisste Person unter der Erde zu finden als hoch darüber, und so entschied er sich folgerichtig für die Kellertreppe.

„Jetzt beruhig Dich mal wieder“, sagte Jenna, „am besten erzählst Du mir in aller Ruhe, was los ist, aber nicht hier“. Sie winkte mit dem Kopf in Richtung der zweiten Bürotür, hinter der Lyndon  arbeitete. „Ich werde Feierabend machen und mit Dir nachhause fahren. Dann kannst Du mir Dein Herz ausschütten. Und keine Angst, ich bin Dir nicht böse. Aber Du wirst mir alles erzählen und nichts auslassen, verstanden?“.
„Ja, Mistress Jenna“, sagte Anna erleichtert, „ganz bestimmt“.
„Gut“, sagte Jenna und ging zu Lyndon. Eine Minute später kam sie wieder aus seinem Büro heraus und hängte sich ihre Tasche um.
„Komm, Anna“, sagte sie, „wir treffen uns zuhause“.

Dort tastete sich Court Jester die Treppe zum Keller hinab. Es war schummerig  hier unten. Eine Taschenlampe wäre jetzt nicht schlecht gewesen, doch wer hatte schon ahnen können, dass er heute noch irgendwo einbrechen würde. Schließlich hatte er so was noch nie gemacht, und ein besonders gutes Gefühl hatte er auch nicht dabei. Court konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie man damit sein Geld verdienen konnte.  Er schwitzte schon jetzt Blut und Wasser vor lauter Aufregung.
Plötzlich ging das Licht an.
Court hätte sich vor Schreck beinahe in die Hosen gemacht. Stocksteif stand er da und lauschte. Nichts rührte sich. Puh, was für ein Schock, dachte er, das würde nie seine Profession werden, selbst wenn er am Hungertuch nagen müsste. Das Licht war offensichtlich durch einen Bewegungsmelder gesteuert.
Court wartete einen Moment, bis sich sein Herzschlag wieder einigermaßen normalisiert hatte, und sah sich um.
Viel gab es nicht zu sehen. Ein Vorraum anscheinend, ziemlich kahl, mit Fliesen ausgelegt, über die ein wertvoller Läufer auf eine Schiebetür aus sehr dunklem schwarzen Holz zu führte.
Court ging auf die Tür zu und lauschte. Auch hier war nichts zu hören. Klopfenden Herzens schob er die Tür ein Stück auf. Ein leichter Geruch von Leder drang in seine Nase. Sehen konnte er zunächst nichts. Er bereitete sich seelisch auf einen weiteren Bewegungsmelder vor und trat in den Raum. Sofort flammte das Licht auf, und Court blieb vor Staunen die Luft weg.
Donnerschlag! Was war das denn hier?
Court hatte ja schon viel von SM-Studios gelesen und gehört, aber das hier war eine andere Kategorie. Anerkennend pfiff er durch die Zähne. Mein lieber Mann, dachte er, das war kein Studio, das war eine Spielwiese der bizarren Art. Er kriegte kaum den Mund zu vor Staunen. So etwas hatte er noch nie gesehen, und schon gar nicht in echt. Kein Wunder, er war ja auch noch nie bei einer Domina gewesen, auch wenn er früher schon mal darüber nachgedacht hatte. Doch dann war ja die kaffeebraune Eileen in sein Leben getreten. Der würde es hier sicher gefallen. Eine gewisse sadistische Ader konnte man ihr nicht absprechen.
Junge, Junge, die gute Miss Carson musste aber eine verdammt dunkle Seite haben. Die renommierte Immobilienmaklerin als peitschenschwingende Furie. Da konnte man doch mal wieder sehen, irgendwie hatte anscheinend jeder so seine Leiche im Keller. Und Miss Carson sogar eine richtig fette.
Hoffentlich nicht die von Harry Milfort, dachte Court. Das wäre dann doch des Guten zu viel. Immer noch staunend durchquerte er die Spielwiese und steckte seinen Kopf durch den Vorhang. Unglaublich. Das war noch mal eine Steigerung. Beeindruckt trat er vor den imposanten Thron. Er befand sich nun im Heiligtum der Göttin und damit in dem Bereich, in den kein Ton der Außenwelt eindrang.
Und so entging ihm auch das Geräusch der beiden in den Hof hineinfahrenden Autos.

„Lass uns nach oben gehen“, sagte Jenna, als sie ins Foyer trat, „da können wir in Ruhe über die Sache reden“. Sie musste ihrer Sklavin reinen Wein einschenken. Wenigstens bis zu einem gewissen Grad. Anna wusste ohnehin schon mehr, als sie gedacht hatte. Eigentlich eine unverzeihliche Disziplinlosigkeit. Doch darüber würde Jenna, in Anbetracht der Umstände, wohl hinwegsehen müssen, was auch kein Problem war. Die Zeit würde sowieso bald reif sein.
Sie nahm ihre geliebte Sklavin an die Hand und ging mit ihr auf die Treppe zu. Urplötzlich blieb sie stehen.
„Pst“, sagte sie und legte einen Zeigefinger auf den Mund, „kein Wort“.
Anna verstand nicht gleich, doch dann sah auch sie die Fußabdrücke auf dem Parkettboden. Court Jester war eben kein Einbrecher, sonst wäre ihm das wohl nicht passiert. Der Regen vom Wochenende hatte die Erde aufweichen lassen. Besonders den weichen schwarzen Sand unter dem Gras des Umgehungsstraßendammes.
Die Abdrücke führten unzweifelhaft auf die Kellertreppe zu, und nun bemerkte Jenna auch, dass dort unten das Licht brannte.
„Geh nach oben in Deine Kammer“, sagte sie leise zu Anna.
„Oh, bitte, Mistress Jenna“, flehte Anna, „machen Sie keinen Fehler“.
„Tue was ich Dir sage“, sagte Jenna bestimmt, „und schließe die Tür. Ich weiß, was ich tue. Los jetzt. Und sei leise“.
Schnell zog sich Anna die Schuhe aus und schlich die Treppe hinauf. Auch Jenna schlüpfte aus den Schuhen.

Court staunte immer noch über den Luxus hier unten. Was musste das gekostet haben? Allein der Thron musste ein Vermögen wert sein. Jedenfalls für seine Verhältnisse. Geld schien bei Miss Carson keine Rolle zu spielen. Keine Spur von Bescheidenheit.
Allerdings auch keine von Harry Milfort. Möglicherweise war Court doch auf der falschen Spur. Dass die Dame hier unten ein SM-Leben führte, musste ja nicht unbedingt etwas zu bedeuten haben. Sie konnte es sich eben leisten, ihrer offensichtlichen Neigung nachzugehen. Auch wenn ihm der Umfang etwas übertrieben schien. Naja, jedem das Seine. Er sollte lieber wieder verschwinden, bevor er doch noch Ärger bekam. Möglicherweise gab es hier sogar eine Alarmanlage, und die Polizei würde hier noch auftauchen. Der Gedanke kam ihm erst jetzt. Wie gesagt, Court war kein Einbrecher. Er war überhaupt noch nie mit dem Gesetz in Konflikt gekommen.
Er warf einen letzten bewundernden Blick auf den Thron. Tolles Ding, dachte er, jetzt aber nix wie weg hier.
Er drehte sich um und sah direkt in den Lauf eines Revolvers.
„Mister Jester, nehme ich an“, sagte Miss Carson, „und diesmal nüchtern, wie es scheint. Guten Tag. Wenn Sie sich nun bitte Ihrer Kleider entledigen würden“.
Der Schock saß so tief, dass Court zu keiner Bewegung fähig war.
„Was…?“.
„Ausziehen“, befahl die Göttin, „heute ist Ihr Glückstag“.
„Ich…ich verstehe nicht…“. Völlig perplex sah er sie an.
„Da gibt es nichts zu verstehen“, sagte Jenna, „ausziehen. Raus aus den Klamotten. Sofort“.
Der autoritäre Ton, mit dem sie sprach, ließ Court alle Zweifel an der Ernsthaftigkeit ihrer Worte verlieren. Mit rotem Kopf begann er, sich auszuziehen.
„Kein Grund, rot zu werden“, sagte Jenna kühl, „ich habe keinerlei Interesse an Ihnen. Sie sind nur zur falschen Zeit am falschen Ort. Beeilung, bitte. Ich habe noch einen anderen Gast, um den ich mich kümmern muss“.
Eine Minute später stand Court vor ihr wie ihn Gott erschaffen hatte. Verschämt hielt er die Hände vor sein Geschlechtsteil.
„Sie brauchen Ihr nutzloses Ding nicht zu verstecken“, sagte Jenna mit einem Lächeln, „ich habe so etwas schon mal gesehen“.
Das kann ich mir vorstellen, dachte Court. Die Lady war eine ausgesprochene Schönheit, die Männer mussten ihr zu Füßen liegen. Entsetzt stellte er fest, dass sich sein kleiner Mr. Jester anschickte, in Gefechtsstellung zu gehen. Jenna warf ihm ein paar Handschellen vor die Füße.
„Heben Sie sie auf“, befahl Jenna, „und dann umdrehen und anlegen. Auf dem Rücken“.
Ein Glück, dachte Court, drehte sich um und hob die Handschellen auf. So sah sie wenigstens nicht, was bei ihm gerade passierte, und Scheiße, ich sitze in der Falle. Ungeschickt legte er sich die Fesseln an.
Jenna konnte das Elend nicht mit ansehen.
„Noch nie gemacht, was?“, sagte sie und beendete sein hilfloses Fummeln. Es klickte einige Male vernehmlich, und vorbei war es mit Courts Freiheit. Der kleine Mr. Jester blickte fröhlich gen Himmel.
Was, zum Teufel, passiert hier? fragte sich Court, was hat sie vor? Die wird mich doch nicht etwa umbringen?
„Um Himmels Willen, Lady…“, sagte er, schlotternd vor Angst und Erregung, „machen Sie keinen Unsinn. Ich…ich habe Familie…“.
„Blödsinn“, gab Jenna kalt zurück, „Sie haben eine farbige Freundin, ansonsten leben Sie alleine“.
„Wo…woher wissen Sie das?“, fragte Court verblüfft. War sie eine Art Hellseherin?
„Ich überlasse nur ungern etwas dem Zufall“, sagte Jenna und stieß ihm in den Rücken, „vorwärts. Natürlich habe ich Erkundigungen eingezogen, nachdem Sie mich am Freitag angesprochen haben. Okay, hier stehenbleiben“.
Was dann passierte ließ Court das Blut in den Adern gefrieren. Sang- und klanglos verabschiedete sich der kleine Mr. Jester wieder, als der Thron die Stufen nach ganz unten freigab. Hätte Court eine Hose angehabt, er hätte sie jetzt wahrscheinlich vollgeschissen vor Angst. Er musste sich böse zusammenreißen.
„Was haben Sie mit mir vor?“, schrie er panisch, „um Gottes Willen, wo bringen Sie mich hin?“.
„Keine Angst, mein Freund“, sagte Jenna und tätschelte ihm den Po, „Ihnen passiert nichts, obwohl ich Sie eigentlich bestrafen müsste. Sie bereiten mir allerhand Umstände. Jetzt muss ich auch noch für Sie sorgen. Das bedeutet doppelte Arbeit. Gehen Sie hinunter“. Wild zerrte Court an den Handschellen.
„Lassen Sie den Unsinn“, sagte sie, „das ist zwecklos und bereitet Ihnen nur unnötige Schmerzen. Gehen Sie schon“.

Aufgeregt rannte Anna in ihrer Kammer auf und ab. Die Geschichte hatte eine dramatische Wende bekommen. Das Erscheinen des Sozialarbeiters hatte endgültig alles ins Wanken gebracht. Sie fragte sich, was Jenna dort unten tat. Am liebsten wäre Anna hinuntergerannt, um ihre Herrin aufzuhalten. Doch sie war hier oben eingesperrt, und ein Hinauskommen war absolut unmöglich. Wie hatte sie nur so dumm sein können, dem Befehl der Herrin zu folgen? In dieser Situation hätte sie sich besser weigern sollen, doch ihr Gehorsam war so tief verwurzelt, dass sie die Befehle der Herrin schon fast automatisch befolgte. Das war auch diesmal der Fall gewesen, und jetzt musste sie tatenlos in ihrer Kammer sitzen und darauf warten, was weiter geschehen würde. Was würde aus ihr werden, wenn der Eindringling die Herrin überwältigte? Würde sie dann in ihrer Kammer verschimmeln? Daran mochte Anna gar nicht denken. Sie musste unbedingt etwas unternehmen, um mehr Einfluss auf das Geschehen zu bekommen. Aber was?
Anna zermarterte sich das Hirn nach der Lösung des Problems. Sie musste sich unbedingt Hilfe von Außerhalb holen, wollte das aber wiederum nicht zu vorschnell tun. Sie war eben keine Frau von schnellen Entscheidungen. Die hatte sie jahrelang vertrauensvoll der Herrin überlassen, und nun, wo Anna gefordert war, konnte sie ihre zögerliche Haltung nicht so schnell ablegen, wie es möglicherweise nötig gewesen wäre. Aber tun musste sie etwas. Sie musste sich wenigstens eine Möglichkeit schaffen, um im Notfall nicht zur Untätigkeit verdammt zu sein.
Und endlich kam ihr die Idee, die jeder normal denkende Mensch im Zeitalter der Kommunikation schon längst gehabt hätte.

„Bitte…“, bettelte Court, als er, Blut und Wasser schwitzend, die steilen Stufen hinabging, „machen Sie sich nicht unglücklich. Sie werden noch im Gefängnis landen“.
„Dafür ist es noch zu früh“, sagte Jenna ungerührt und öffnete die schwere Stahltür, „und deshalb kommen Sie da erst mal rein. Bitteschön…Sie suchen Mr. Milfort? Sie haben ihn gefunden“.
Court traute seinen Augen nicht, als er sah, was vor ihm lag. Ungläubig sah er durch die Schleuse zu den Zellen hinüber.
„Weiter“, sagte Jenna und öffnete die erste Tür der Schleuse.
„Was ist das hier?“, fragte Court entsetzt. Die Lady versetzte ihm einen Stoß in den Rücken, und er taumelte in die Schleuse.
„Genau das, wonach es aussieht“, sagte sie und öffnete die zweite Tür. Nun sah Court auch den Gefangenen.
„Um Gottes Willen, was haben Sie mit ihm gemacht?“, fragte er panisch, „wollen Sie das etwa auch…?“.
„Keine Angst“, unterbrach sie ihn, „für Sie habe ich nichts dergleichen geplant. Es sei denn, dass Sie es gerne möchten. Darüber ließe sich reden“.
„Nein, nein“, beeilte er sich zu sagen, „nicht nötig, ich will Ihnen keine Umstände machen…ich…“.
„Bitte einzutreten“, sagte die Lady mit einem geradezu bezaubernden Lächeln und zeigte auf die geöffnete Gittertür der Zelle, in der Harry Milfort seine Zeit verbracht hatte, bis ihn die Göttin in die andere geschleppt hatte.
Eine halbe Minute später saß Court Jester hinter Schloss und Riegel.
„Stellen Sie sich mit dem Rücken ans Gitter“, sagte Jenna, „damit ich Ihnen die Handschellen abnehmen kann. Das Vergnügen gefesselt zu sein, bleibt Ihnen erst einmal versagt“.
„Was haben Sie mit Harry gemacht?“, fragte Court, „und was haben Sie mit mir vor?“.
„Mr. Milfort befindet sich auf einer Reise“, sagte Jenna, „und solange die nicht beendet ist, werden Sie ihm Gesellschaft leisten. Es tut mir wirklich leid, dass ich Ihnen diese Unannehmlichkeit bereiten muss, aber Sie lassen mir keine Wahl“.
„Noch haben Sie die Wahl“, versuchte Court, sie umzustimmen, „lassen Sie mich gehen und Mr. Milfort mitnehmen, dann können wir vielleicht eine annehmbare Lösung finden, um das Problem so klein wie möglich zu halten“.
„Wie soll das gehen?“, fragte Jenna kopfschüttelnd, „können Sie zaubern? Nein, das geht nicht mehr. Mr. Milfort ist bereits kurz vor dem Ziel. Seine Reise wird bald beendet sein“.
„Ach ja?“, fragte Court besorgt, „und was passiert mit mir, wenn seine…äh…Reise beendet ist?“.
„Gar nichts“, lächelte Jenna, „dann können Sie nachhause gehen“.
„Und das soll ich Ihnen glauben? Sie sind ja verrückt“.
„Mag sein“, sagte Jenna, „aber es ist so. Sie bleiben hier, bis ich mein Ziel erreicht habe. Dann können Sie gehen. Unbeschadet, das verspreche ich Ihnen“.
„Ist Ihnen klar, was das für Konsequenzen für Sie hat?“, fragte Court verwirrt. Sie glaubte doch nicht wirklich, dass sie dann zur Tagesordnung übergehen könnte?!
„Allerdings“, antwortete Jenna beinahe strahlend, „die Konsequenzen sind das Ziel meines Weges“.
„Das ist nicht Ihr Ernst“, staunte Court. Er war sich nicht sicher, ob er sie richtig verstanden hatte.
„Sie werden im Gefängnis landen“, versuchte er ihr zu erklären, „für lange Zeit“.
„Ja“, sagte sie mit einem geheimnisvollen Lächeln, „das werde ich“.
„…“. Court blieben die Worte im Halse stecken. Die Frau musste völlig wahnsinnig sein. Er unternahm einen letzten Versuch.
„Hören Sie, Lady“, sagte er verzweifelt, „das muss nicht sein. Noch können wir das verhindern. Lassen Sie mich nach Harry sehen. Vielleicht können wir die ganze Sache noch retten. Es würde mir in der Seele wehtun, eine so schöne und kluge Frau hinter Gittern sehen zu müssen“.
„Oh“, sagte Jenna süffisant, „ein Ritter in strahlender Rüstung. Im Moment allerdings ziemlich ungeschützt. Warten Sie einen Moment. Ich werde Ihre Rüstung durchsuchen, dann können Sie sie wieder anlegen“.
„Sie machen sich unglücklich“, rief er ihr nach, als sie durch die Schleuse ging.
„Nein“, rief sie zurück, „ich mache mich glücklich!“.
Die Frau muss vor sich selbst geschützt werden, dachte Court. Harry war ihm im Moment scheißegal. Er hatte ihn gefunden, das war alles, was zählte. Dass der Kerl das verdiente, was sie ihm antat, daran hatte Court, nachdem er inzwischen die ganze Geschichte kannte, keine Zweifel. Aber das hier war eine Art Selbstjustiz. Und das war nun einmal strafbar.

Sorgfältig durchsuchte Jenna Courts Kleider. Sie leerte sämtliche Taschen, und als sie sicher war, dass sich nichts mehr darin befand, was ihm in irgendeiner Weise zu Nutze sein könnte, nahm sie die Sachen unter den Arm und brachte sie nach unten.
„Lassen Sie uns noch einmal darüber reden“, versuchte es Court erneut, während er sich wieder anzog, „es muss doch eine Möglichkeit geben, ihre Rache zu bekommen und trotzdem einigermaßen unbeschadet aus der Sache herauszukommen“.
„Tut mir leid“, sagte Jenna, „ich habe keine Zeit zum Reden. Ich muss mich um unseren Freund kümmern. Er hat Level zwei lange genug durchlaufen. Jetzt braucht er ein wenig Erholung“.
Mit diesen Worten öffnete sie die Tür zu Zelle zwei und hockte sich vor dem totenstillen Harry Milfort hin.

Irgendetwas passierte. Aus der Tiefe des Vergessens, spürte der Mann, der Harry Milfort war, dass das Universum der Dunkelheit und Stille aufgebrochen wurde. Unwillkürlich sog er die frische Luft in die schmerzenden Lungenflügel. Grelles, stechendes Licht bohrte sich in sein schlafendes Hirn und brachte es unsanft zum Erwachen. Langsam und schleppend krochen Schmerzen in die Nervenbahnen des erschöpften Körpers. Erst wie von fern, doch dann rasch näherkommend und quälend. So quälend, dass der Mann zu schreien begann.

Oh Gott, dachte Court und drückte sich so nahe es ging ans Gitter, um zu sehen, was nebenan geschah, ohne jedoch einen Blick erhaschen zu können. Dafür hörte er aber die Schreie. Grauenhafte Schreie, wie er sie noch nie gehört hatte. Dann gingen sie über in ein Wimmern, bis sie schließlich erstarben.

Die Schmerzen hatten den Mann wieder in Ohnmacht fallen lassen. Er merkte nicht, wie ihm die Göttin Wasser einflößte und Salbe in die Muskeln einmassierte. Er merkte auch nicht, wie sie ihn von der kurzen Kette befreite, die seinen steifen Nacken an der Wand hielt. Genauso wenig, wie er bemerkte, dass sie ihn über den harten Boden schleifte und ihn durch die Öffnung in der Wand zog, hinein in einen kahlen Raum mit einer Bodenluke und einem Flaschenzug.
Er kam erst wieder zu sich, als sie ein Seil unter seine Achseln hindurchschob und es ihm um den Brustkorb band.
Er hörte sie etwas sagen, doch er verstand die Worte nicht. Noch war er zu weit entfernt.
Das war auch der Göttin bewusst, und deshalb gab sie ihm noch mehr Wasser, das er gierig aufsog, bevor er die Hälfte davon prustend und glucksend wieder von sich gab.
Als er heftig blinzelnd die Augen öffnete, ließ sie ihn allein.
„Bis morgen“, sagte sie, dann hörte er eine Tür zuschlagen, und es war wieder dunkel.
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